Die aktuelle Situation in den britischen Gefängnissen ist geprägt von Platznot, Personalmangel und Gewalt in den Haftanstalten. Dem will die Regierung mit einem umfassenden Bauprojekt entgegenwirken, das sowohl Sanierungen als auch Neubauten vorsieht, aber auch eine Justizreform ist aufgrund der prekären Lage geplant.
Im Juni 2023 eröffnete im englischen Leicester Großbritanniens neuestes, hochmodernes Gefängnis, das künftig rund 2.000 Häftlingen Platz bieten soll. Durch eine Kombination aus innovativem Design und fortschrittlichen Haftbedingungen soll es zur Eindämmung der Kriminalität, gelungener Resozialisierung der Gefangenen und gleichzeitig zur Stärkung der lokalen Wirtschaft beitragen. Die Strategie dahinter? Die Gefangenen sollen während ihrer Haftzeit neue Fähigkeiten und Qualifikationen erwerben, die sie während und nach ihrer Entlassung sinnvoll in die Gesellschaft einbringen können.
Größtes Gefängnisbauprojekt des 21. Jahrhunderts
Das HMP Fosse Way reiht sich als das zweite von sechs hochmodernen Justizanstalten in eines der größten Gefängnisbauprojekte Großbritanniens ein. Das vier Milliarden Pfund schwere Bauprojekt der Regierung hat die umfassendste Erweiterung der britischen Gefängnisanlagen seit der viktorianischen Zeit zum Ziel und sieht eine Kombination aus Neubauten sowie Erweiterungen und Sanierungen bereits bestehender Haftanstalten vor.
Laut dem britischen Justizminister Alex Chalk soll mit dem neuen Bau eine sichere und moderne Haftanstalt entstehen, in der neueste Technologien zum Einsatz kommen und die Resozialisierung der Häftlinge sowie die Verbrechensbekämpfung im Mittelpunkt stehen.
Aber nicht nur Fortschrittlichkeit steht im Vordergrund, auch in Sachen Umweltfreundlichkeit präsentiert sich das HMP Fosse Way mit hohen Standards. Durch den Einsatz erneuerbarer Energien und alternativer flüssiger Brennstoffe („green fuels“) gilt es bereits jetzt als das umweltfreundlichste Gefängnis Großbritanniens.
Intelligentes Design kombiniert mit fortschrittlichen Haftbedingungen
Durch X-förmige Blöcke mit breiteren, aber kürzeren Gängen und der Unterbringung entsprechend weniger Gefangenen auf gleichem Raum soll es dem Gefängnispersonal ermöglichen, die Zellen der Gefangenen schneller zu erreichen und so zu einem sichereren Haftklima beitragen. Gitterlose Fenster, die mit einem Hochsicherheitssystem ausgestattet sind, tragen nicht nur zu angenehmeren Haftbedingungen bei, sondern verhindern auch den illegalen Schmuggel von Drogen, Telefonen und Waffen.
Strafgefangene beteiligten sich am Baugeschehen
Unter den 500 Personen, die am Bau des Gefängnisses beteiligt waren, befanden sich auch 71 ehemalige Häftlinge sowie Strafgefangene, die vorübergehend auf Bewährung entlassen wurden, um am Bau mitzuwirken. Darüber hinaus wurden mit 180 Millionen Pfund vor allem örtliche BaulieferantInnen unterstützt und damit in die lokale Wirtschaft investiert. Zusätzlich zu den 500 Arbeitsplätzen, die durch den Bau geschaffen wurden, soll der Betrieb des Gefängnisses künftig 600 Menschen Arbeit bieten.
Tägliche Workshops und Kurse zur Schulung der Gefangenen
24 Werkstätten und mindestens ebenso viele Unterrichtsräume stehen den rund 2.000 Gefangenen zur Verfügung. Hier lernen sie zum Beispiel Musik zu produzieren, Baufahrzeuge zu bedienen, Beleuchtungskörper und Betonteile zu fertigen, oder werden im kaufmännischen Bereich geschult.
Die neu erlernten Fähigkeiten sollen zum einen in zukünftige Gefängnisbauprojekte einfließen, zum anderen sollen die Gefangenen nach der Haft schneller einen Arbeitsplatz finden und so Lücken auf dem Arbeitsmarkt schließen.
Darüber hinaus soll es den Gefangenen ermöglicht werden, in ihrer Freizeit über digitale Geräte in den Zellen auf Lernmaterialien zuzugreifen, um das Bildungsangebot auch außerhalb des Klassenzimmers nutzen zu können.
Großbritannien steht vor einem Gefängniskollaps
Hintergrund des von der Regierung beschlossenen Großbauprojekts ist die seit Jahren rasant wachsende Gefängnispopulation in Großbritannien: Bis zum Frühjahr 2025 fehlen nach einer Prognose des Justizministeriums bis zu 2.300 Haftplätze.
65.000 Verfahren sind längst überfällig, und das vor dem Hintergrund überfüllter Haftanstalten, erheblichen Personalmangels und Gewalt innerhalb der Gefängnisse.
Bereits in den vergangenen Jahren haben mehrere Länder die Auslieferung von Häftlingen nach Großbritannien abgelehnt (zuletzt das deutsche Oberlandesgericht Karlsruhe im September 2023) mit der Begründung, die mutmaßlichen StraftäterInnen würden dort keine menschenwürdigen Haftbedingungen vorfinden. Insbesondere die Größe und Belüftung der Zellen entsprächen nicht den Anforderungen der europäischen Menschenrechtskonvention.
Die Regierung hofft nun, mit den innovativen Neubauten die britische Gefängnislandschaft nachhaltig zu prägen und durch die Schaffung neuer Haftplätze dem drohenden Gefängniskollaps entgegenzuwirken. Doch damit nicht genug: Aufgrund der brisanten Situation will die britische Regierung eine Justizreform auf den Weg bringen. In deren Rahmen wird derzeit unter anderem die Möglichkeit geprüft, Gefangene durch „Anmietung“ von Haftplätzen in anderen europäischen Staaten unterzubringen. Gleichzeitig sollen die Bedingungen für eine Überstellung gelockert werden, sodass ausländische Häftlinge künftig schneller in ihre Heimatländer abgeschoben werden können. Schließlich sollen Kleinkriminelle statt zu kurzen Freiheitsstrafen eher zu gemeinnütziger Arbeit verurteilt werden, um einer Überlastung der Haftanstalten entgegenzuwirken. Die genannten Maßnahmen stoßen jedoch auf Kritik: So bezeichnet die Geschäftsführerin der Howard League for Penal Reform (Organisation, die sich mit Reformvorschlägen für den Strafvollzug beschäftigt) die geplanten Schritte als „nationale Schande“, die die verfehlte Strafvollzugspolitik der letzten Jahre nur noch deutlicher widerspiegele.