Ein Leben ohne Smartphone ist für viele von uns kaum mehr vorstellbar. Häftlinge in Österreich haben keinen oder nur sehr eingeschränkten Zugang zu digitalen Geräten, dabei könnte dieser Zugang für die Resozialisierung und die Vorbereitung auf die Entlassung sehr hilfreich sein. Ein Projekt des Instituts für angewandte Rechts- und Kriminalsoziologie untersucht Voraussetzungen und Umsetzungsmöglichkeiten für eine sinnvolle Digitalisierung hinter Gittern.
Mit April 2024 startet ein Pilotprojekt, das den Einsatz digitaler Geräte für Insassen in einer oberösterreichischen Justizanstalt testet. Ein Team unter der Leitung von Kriminalsoziologin Veronika Hofinger hat das Projekt vorbereitet und begleitet es nun sozialwissenschaftlich. Im Interview berichtet sie über erste Ergebnisse.
In Österreich ist ein Pilotprojekt geplant, das Häftlingen Zugang zu digitalen Geräten ermöglicht. Wie ist die Situation diesbezüglich denn derzeit?
Veronika Hofinger: Wenn man in Österreich in Haft kommt, muss man sein Smartphone abgeben. Man ist also mit einem Schlag nicht nur körperlich von der Außenwelt abgesondert, sondern verliert auch den Zugang zu seinen Kontakten, zu den Fotos, zur Musik, zu allen Apps und Sozialen Medien … Offiziell hat man dann bis zur Haftentlassung keinen Zugang zum Internet. Man darf nur zu bestimmten Zeiten telefonieren und, wenn man Glück hat, darf man im Zuge von Ausbildungsmaßnahmen stundenweise Computer in der Anstalt nützen. In unserem Pilotprojekt soll nun vor allem über die Ausbildungsschiene mehr ermöglicht werden, also eine inhaltliche und zeitliche Ausweitung der Nutzung von digitalen Devices.
Was konkret haben Sie sich im Rahmen Ihrer Untersuchung angesehen?
Im Rahmen des Projekts – ein KIRAS-Sicherheitsforschungsprojekt, das vom Bundesministerium für Finanzen gefördert wird – haben wir zur Vorbereitung des Pilotprojekts mit rund 40 (zum Teil ehemaligen) Inhaftierten gesprochen, um herauszufinden, was sie brauchen würden, um die Zeit in Haft sinnvoll nützen zu können und die Entlassung gut vorzubereiten. Wir haben auch nationale und internationale Fachleute interviewt und das Strafvollzugspersonal in einer Online-Erhebung befragt. Bei der Justizwache gibt es zum Teil Widerstände, aber auch durchaus Zustimmung zu einer Modernisierung, wenn diese hohen Sicherheitsstandards genügt. Nun startet gerade das Pilotprojekt in einer oberösterreichischen Justizanstalt, das wir sozialwissenschaftlich begleiten werden. Mit Jahresende ist das Projekt abgeschlossen, bis dahin formulieren wir Lessons Learned für zukünftige Digitalisierungsschritte in österreichischen Justizanstalten.
Gibt es Erfahrungen aus anderen Ländern und wenn ja, wie sehen die aus?
International gibt es bereits viele Länder, die solche digitalen Insassen-Systeme ausprobieren oder schon implementiert haben. Da ist gerade viel in Bewegung. Alle wissen, dass die Digitalisierung auch in Haft und zur Unterstützung der Resozialisierung passieren muss, man will den Anschluss nicht verpassen und zugleich keine Risiken eingehen.
Digitale Geräte sind allgegenwärtig. Welche Rolle können sie bei der Resozialisierung spielen, wenn Inhaftierte auch im Gefängnis damit umgehen?
Im Pilotprojekt kommen die Geräte vor allem im Rahmen der Ausbildung zum Einsatz. Und sie werden genützt, um Arbeitsabläufe in der Anstalt, z.B. Ansuchen, zu digitalisieren und um den Insassen mehr Informationen zur Verfügung zu stellen. Das fördert die Selbständigkeit der Inhaftierten, die ja in Haft extrem eingeschränkt ist, und es ermöglicht eine bessere Vorbereitung auf das Leben nach der Haft. Was sich Menschen in Haft wünschen würden, ist auch mehr Kontakt mit Angehörigen und Freunden draußen. Beim Erlauben dieser Kommunikation ist man im Strafvollzug aber doch recht zurückhaltend – man möchte kein Risiko eingehen. Wir werden uns im Pilotprojekt ansehen, was da unter Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten vertretbar ist.
Welche Herausforderungen und Bedenken wurden vom Justizpersonal hinsichtlich der Digitalisierung geäußert?
Es sind vor allem Sicherheitsbedenken auf Seiten der Justizwache. (Die Sozialen Dienste sind sehr für die Digitalisierung.) Man hat Angst vor Absprachen, vor unkontrollierter Kommunikation, vor aus der Haft orchestrierten Straftaten. Vereinzelt besteht auch die Sorge, dass es einen Abbau „analoger“ sozialer Interaktion geben könnte, wenn man Abläufe digitalisiert. Da ein hohes Risikobewusstsein besteht, ist es wichtig, gut über den kontrollierten Einsatz und die Sicherheitsvorkehrungen zu informieren. Im Modellprojekt arbeiten wir mit einem IT-Architekten des Justizministeriums und einem belgischen Unternehmen zusammen. Wir sehen, dass die Neuerungen vom Personal durchaus begrüßt werden, wenn sie keine Sicherheitsbedenken haben müssen, weil es professionell implementiert wird.
Inwiefern unterscheiden sich die Ansichten der (ehemaligen) Inhaftierten und des Personals bezüglich der Vorteile und Risiken der Digitalisierung?
Es gibt erstaunlich viel Überschneidungen. Auch bei den Inhaftierten besteht durchaus ein Bewusstsein für die mit einer Ausweitung der Digitalisierung verbundenen Probleme, etwa den Kosten für den Strafvollzug, dem Missbrauch der Geräte durch Gefangene oder dem möglichen Verlust analoger sozialer Interaktionen. Bei der Justizwache sieht man zwar die Risiken, viele sehen aber auch durchaus die Chancen, die sich durch eine Ausweitung der Insassen-Digitalisierung ergeben, vor allem in den Bereichen Bildung, Entlassungsvorbereitung, Aufbau digitaler Kompetenzen und Kommunikation mit Angehörigen. Die Fachdienste als Betreuungsdienste sehen sich fast ausschließlich den resozialisierenden Aufgaben verpflichtet und stehen der Digitalisierung sehr positiv gegenüber.
Überwachung durch digitale Geräte ist auch außerhalb von Gefängnissen Thema. Wie sieht das in Gefängnissen aus, wo Überwachung naturgemäß nochmals eine andere Rolle spielt?
Auch außerhalb des Gefängnisses sind wir uns oft nicht bewusst, wie viele Daten wir durch die Nutzung unserer Smartphones und anderer digitaler Geräte produzieren und welche Überwachungsmöglichkeiten dadurch entstehen. In Haft ist das ähnlich, in den Interviews mit Inhaftierten wurde die Möglichkeit, dass durch Digitalisierung auch die Überwachung steigen könnte, nicht thematisiert. Viele Insassen wären bereit, für ein bisschen mehr Autonomie oder Möglichkeiten, mit der Familie zu chatten, auch mehr Überwachung in Kauf zu nehmen. Das ist nicht immer problematisch. Aus unserer Sicht ist es aber wichtig, bei der Ausweitung des Zugangs zu digitalen Geräten für Insassen die Resozialisierung in den Fokus zu stellen. Wenn mit der Digitalisierung nur Verwaltungsabläufe vereinfacht, Überwachung ausgebaut und Personal eingespart werden soll, nähern wir uns der Dystopie eines „Smart Prisons“, wie es sie beispielsweise bereits in Hongkong gibt. Dort wollen wir nicht hin.
Publikationen:
► Hofinger, V. & Pflegerl, P. (2024). A reality check on the digitalisation of prisons: Assessing the opportunities and risks of providing digital technologies for prisoners. Punishment & Society, 0(0). https://doi.org/10.1177/14624745241237190
► Hofinger, V. & Pflegerl, P. (2024). Digitalisierung im Gefängnis: Eine multiperspektivische Betrachtung der Ausweitung des Zugangs zu digitalen Geräten für Inhaftierte im österreichischen Straf- und Maßnahmenvollzug. Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform. https://doi.org/10.1515/mks-2023-0033