Der Afrikanische Gerichtshof für Menschenrechte und Rechte der Völker hat entschieden, dass Tansania die Praxis der körperlichen Züchtigung („Prügelstrafe“) als Teil einer Gefängnisstrafe abschaffen muss. Des Weiteren wird die Möglichkeit, Prügelstrafen zu verhängen, zukünftig aus dem Gesetz gestrichen, um eine Konformität mit der Afrikanischen Charta der Menschenrechte zu gewährleisten.
Die Diskussion über die Todesstrafe und die Körperstrafe als Sanktionsformen hat eine lange Tradition und wird weltweit intensiv geführt. In einigen Ländern wurde bereits vor vielen Jahren sowohl die Körper- als auch die Todesstrafe abgeschafft, in anderen nur eine der beiden Strafformen oder gar keine. Obgleich die Kritik an der Todesstrafe in Tansania anhält und juristische sowie ethische Debatten über ihre Abschaffung geführt werden, hat sich an der Praxis bisher nichts geändert. Im Bereich der körperlichen Züchtigung (Prügelstrafe) sind jedoch gewisse Fortschritte in der Gesetzgebung zu verzeichnen.
Körperliche Züchtigung als legitime Sanktionsmethode
Die Prügelstrafe steht seit Jahren international in der Kritik und wird als Menschenrechtsverletzung angesehen. In wiederholten Appellen haben Organisationen wie Amnesty International oder andere Menschenrechtsgruppierungen auf die Missstände hingewiesen und die tansanische Regierung aufgefordert, die Praxis der Prügelstrafe zu beenden. Zunächst ist festzuhalten, dass die Bestrafung mittels körperlicher Züchtigung nach Maßgabe verschiedener Gesetze des Landes als eine durchaus legitime Form der Sanktionierung angesehen wird. Dies gilt insbesondere für Straftaten wie Vergewaltigung oder Mord. Bei Verhängung einer Prügelstrafe wird regelmäßig auf das Strafprozessgesetz verwiesen, welches körperlicher Züchtigung allgemein zu den im tansanischen Rechtssystem zulässigen Strafen zählt. Prügelstrafen können und werden demnach auch von Gerichten verhängt. Obgleich die oben genannte Kritik sowie der internationale Druck bestehen, ist die körperliche Züchtigung in einigen Gefängnissen des Landes bis heute Teil des Strafvollzugssystems. Gefangene, die gegen die Gefängnisordnung verstoßen oder als ungehorsam gelten, sind dem Risiko ausgesetzt, Opfer dieser als unmenschlich zu bezeichnenden Praxis zu werden. In den vergangenen Monaten lässt sich jedoch ein Wandel beobachten. Die tansanische Regierung hat in jüngster Vergangenheit eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um Menschenrechtsverletzungen in den Haftanstalten des Landes zu bekämpfen. Im Rahmen der eingeleiteten Reformen ist die Verbesserung der Haftbedingungen intendiert, um die Würde der Gefangenen zu wahren und deren Rechte zu respektieren.
Revision führt zum Umbruch
Anlassfall dieser Reformen, war ein Urteil vom 5. September 2023 über die Revision von Yassin Rashid Maige gegen seine Haft- und einer zusätzlich verhängten Prügelstrafe. Wegen eines bewaffneten Raubüberfalls wurde er zu einer 30-jährigen Freiheitsstrafe und zu insgesamt zwölf Stockschlägen verurteilt. Der Beschwerdeführer argumentierte, dass die verhängte Strafe eine unverhältnismäßig hohe Sanktion darstelle, welche gegen Artikel 5 der afrikanischen Charta der Menschenrechte verstoße. Das Berufungsgericht in Arusha gab dem Beschwerdeführer in gewisser Weise recht und befand, dass das Erstgericht die Menschenwürde des Verurteilten aufgrund der angedrohten Prügelstrafe verletzt habe. In weiterer Folge befand auch der Afrikanische Gerichtshof, dass die Verurteilung zur Prügelstrafe gegen Artikel 5 der Charta der Menschenrechte verstößt.
Geplante Schritte
In Zukunft sollen insbesondere die Bestimmungen zur körperlichen Züchtigung im tansanischen Strafgesetzbuch, in der Strafprozessordnung sowie im Gesetz über die körperliche Bestrafung geändert und gestrichen werden, um sie mit Artikel 5 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker in Einklang zu bringen. Dieser untersagt Folter sowie grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung. Tansania ist bereits im Jahr 1986 der Afrikanischen Charta der Menschenrechte offiziell beigetreten. Im Jahr 2010 gab das Land dann eine Erklärung ab, in der es die Zuständigkeit des Afrikanischen Gerichtshofs für die Entgegennahme von Beschwerden einzelner Personen sowie NGOs anerkannte. Obgleich diese Erklärung im Jahr 2019 wieder zurückgezogen wurde, stellte der Gerichtshof in weiterer Folge fest, dass ein solcher Rückzug keine Auswirkungen auf anhängige Fälle sowie neue Fälle hat, die noch vor dem Wirksamwerden des Rückzugs eingebracht wurden. Folglich ist Tansania nach wie vor verpflichtet, das Urteil des Afrikanischen Gerichtshofs umzusetzen.
Körperliche Züchtigung immer noch weit verbreitet
In der Vergangenheit beschränkte sich der Widerstand gegen die Anwendung körperlicher Züchtigung als Strafe oder Disziplinarmaßnahme hauptsächlich in Bezug auf deren Anwendung in Schulen, denn gemäß einem Gesetz von 1979 ist die Anwendung in Bildungseinrichtungen offiziell erlaubt.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass es in der Vergangenheit wiederholt zu Vorfällen kam, bei denen Lehrkräfte die Prügelstrafe einsetzten, um SchülerInnen zu bestrafen. Ein besonders tragischer Fall, der in diesem Kontext für Aufsehen sorgte, war der Tod eines 13-jährigen Schülers im Jahr 2019. Dieser wurde von seinem Lehrer geschlagen und erlag in der Folge seinen schweren Verletzungen.
Trotz dieser Vorfälle ist in der tansanischen Gesellschaft die körperliche Züchtigung von Kindern in verschiedenen Kontexten weiterhin rechtlich zulässig und gängige Praxis. Dies gilt sowohl für den familiären Bereich als auch für Bildungseinrichtungen wie Schulen, Kindertagesstätten oder andere alternative Betreuungseinrichtungen. Durch das Urteil vom 5. September könnte sich diese Situation in Zukunft ändern.
Wegweisendes Urteil
Das Urteil vom 5. September 2023 ist insofern wegweisend, als dass das Gericht keine Differenzierung zwischen körperlicher Züchtigung von Kindern und der Züchtigung von Erwachsenen, einschließlich der Bestrafung in Haftanstalten, vornahm. In seiner Entscheidung berief sich das Gericht auf Artikel 13 Abs 6 der tansanischen Verfassung, der „Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung bzw. Strafe“ verbietet, sowie auf das tansanische Gesetz über körperliche Züchtigung, welches explizit die Verhängung von Körperstrafen regelt. Das Gericht hat nicht nur angeordnet, dass die körperliche Züchtigung als solche abgeschafft wird, sondern hat auch die tansanischen Behörden dazu angewiesen, Herrn Maige eine Entschädigung für den Schaden zu bezahlen, den er durch die Prügel erlitten hat. Die Argumentation des Klägers, die Prügelstrafe sei derart schwerwiegend gewesen, dass eine Verkürzung der Haftstrafe gerechtfertigt sei, wurde jedoch zurückgewiesen. Das Hauptanliegen des Urteils ist die zukünftige Aufhebung aller Gesetze bzw. Normen, die eine körperliche Züchtigung erlauben. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass das Verbot grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe in Artikel 5 der Charta „absolut“ und „unbeschränkbar“ sei und zukünftig auf den Bereich der körperlichen Züchtigung ausgeweitet werden müsse, um größtmöglichen Schutz gegen körperliche sowie seelische Misshandlungen zu gewährleisten, unabhängig davon in welchem gesellschaftlichen Kontext diese verübt werden.
Obgleich diesbezüglich noch zahlreiche Schritte zu bewältigen sind, um sicherzustellen, dass alle Formen der Misshandlung und Folter in tansanischen Gefängnissen vollständig beseitigt werden, stellt die schrittweise Abschaffung der Prügelstrafe einen vielversprechenden Ansatz für eine gerechtere und menschenwürdigere Behandlung von Gefangenen in Tansania dar.
Der Friedensforscher Franz Jedlicka, der sich zunächst auf die negativen Auswirkungen einer weit verbreiteten Körperstrafe bei Kindern auf die Friedlichkeit von Ländern konzentriert hat, hat später eine „Culture of Violence Scale“ entwickelt, bei der die judizielle Körperstrafe eines der Items ist.
Johanna Sindelar