Ein Leben ohne Smartphone? Für viele Menschen ist dies kaum vorstellbar. Denn in den meisten gesellschaftlichen Bereichen hat die Digitalisierung bereits Einzug gehalten und prägt unseren Alltag. Anders sieht es in Justizanstalten aus. Häftlinge in Österreich haben kaum oder gar keinen Zugang zu digitalen Geräten. Bisher stellten Sicherheitsbedenken das Haupthindernis für die Umsetzung eines digitalen Strafvollzugs dar. Dabei spielt die digitale Versiertheit der Insassen eine große Rolle für deren Resozialisierung und Entlassungsvorbereitung. Dies soll sich in Zukunft ändern: Seit April 2024 läuft in einer Justizanstalt in Oberösterreich ein Pilotprojekt, um den Einsatz von digitalen Geräten im Strafvollzug zu testen und deren Vorteile und Risiken aufzuzeigen.

Die Digitalisierung ist in sämtlichen Lebensbereichen präsent, das Internet wird für eine Vielzahl von Aktivitäten genutzt, darunter der Kauf von Waren und Dienstleistungen, die Suche nach einer Wohnung und sogar nach potenziellen PartnerInnen. Hinter Gefängnismauern zeigt sich jedoch ein anderes Bild. Wer eine Straftat begeht und deshalb inhaftiert wird, ist von einem Tag auf den anderen „offline“. Eine Haftstrafe bedeutet also immer auch einen Rückfall in die analoge Vergangenheit. Doch welche Folgen hat es, wenn der Zugang zum Internet plötzlich verwehrt wird und die Teilhabe an der digitalen Entwicklung nicht mehr möglich ist? Besonders im Hinblick auf eine erfolgreiche Resozialisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft nach der Haftentlassung scheinen die Folgen besonders problematisch zu sein. Durch den Freiheitsentzug und den damit einhergehenden Verlust des Smartphones sind die Gefangenen nicht nur physisch von der Außenwelt abgeschnitten, sondern verlieren auch den Zugang zu ihren Familien und anderen sozialen Kontakten, zu Musik, Social Media, Fotos, Videos und allem, was sich noch auf dem Smartphone befindet. Telefonate mit der Außenwelt sind zwar zu bestimmten Zeiten erlaubt, aber die Anzahl und Dauer der Gespräche ist stark eingeschränkt. In jüngster Zeit ist jedoch ein zunehmender Trend zu beobachten, denn immer mehr europäische Länder initiieren Pilotprojekte, um die Digitalisierung im Strafvollzug zu erproben und voranzutreiben.

Weltweite Trendwende

Die Implementierung digitaler Systeme in Haftanstalten hat weltweit bereits in zahlreichen Ländern stattgefunden, wobei in diesem Zusammenhang zunehmend der Begriff „Smart Prisons“ auftaucht. Es lässt sich also eine dynamische Entwicklung beobachten, da allen Beteiligten bewusst ist, dass die Digitalisierung im Kontext eines modernen Strafvollzugs und einer erfolgreichen Resozialisierung erfolgen muss. Doch in einigen Ländern wird diese Entwicklung derzeit häufig noch von befürchteten Sicherheitsrisiken überschattet.

Pilotprojekt Oberösterreich

Im April 2024 startete in einer Justizanstalt in Oberösterreich ein Pilotprojekt des Instituts für angewandte Rechts-und Kriminalsoziologie, das den Einsatz digitaler Geräte in Justizanstalten testet und dabei den Fokus auf die Voraussetzungen und Umsetzungsmöglichkeiten für eine sinnvolle Digitalisierung hinter Gittern legt. Das Projekt läuft noch bis Ende des Jahres, die Erfahrungen sollen anschließend für Modernisierungen in weiteren Haftanstalten genutzt werden. Zur Vorbereitung des Projekts wurden rund 40 ehemalige und aktuelle Strafgefangene befragt, um ihre Einschätzungen zum Thema Digitalisierung in Justizanstalten zu erhalten. Dabei ging es vor allem um die Frage, was Gefangene benötigen, um ihre Zeit in Haft sinnvoll zu gestalten und was sie bei der Entlassungsvorbereitung zukünftig unterstützen kann. Darüber hinaus wurden in einem größeren Rahmen nationale und internationale Fachkräfte (Vollzugspersonal und Soziale Dienste) befragt, um deren Einschätzungen zu Chancen und Risiken bestmöglich zu berücksichtigen und ein breites Meinungsbild zu erhalten. Dabei wird die Digitalisierung im Strafvollzug von verschiedenen Akteuren mit unterschiedlichen Bedenken und Hoffnungen betrachtet. Bei den Strafvollzugsbediensteten stehen vor allem die Sicherheitsbedenken im Vordergrund. Die BeamtInnen fürchten, dass durch die Einführung digitaler Technologien unkontrollierte Kommunikation und Absprachen zwischen den Gefangenen ermöglicht werden würden. Diese könnten zur Planung und Begehung neuer Straftaten aus der Haft heraus genutzt werden, was die Sicherheit innerhalb und außerhalb der Gefängnismauern gefährden würde. Unter Beibehaltung bzw. entsprechender Ausweitung hoher Sicherheitsstandards stand aber auch diese Gruppe einer Modernisierung des Strafvollzugs keineswegs ablehnend gegenüber. Die sozialen Dienste hingegen sehen die Digitalisierung als positive Entwicklung an. Ihrer Meinung nach bergen die neuen Technologien Potenziale für die Resozialisierung der Gefangenen, etwa durch erleichterte Bildungsangebote oder die Möglichkeit, den Kontakt zu Familie und Freunden aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig besteht aber auch die Befürchtung, dass zu viele digitalisierte Abläufe zu einem Abbau sozialer Interaktionen führen könnten. Diese persönlichen Kontakte und direkten Gespräche sind für die emotionale und soziale Entwicklung der Inhaftierten von großer Bedeutung und tragen wesentlich zu einer erfolgreichen Wiedereingliederung in die Gesellschaft bei. Die unterschiedlichen Perspektiven verdeutlichen ein Spannungsfeld: Einerseits besteht der Wunsch, durch Digitalisierung positive Entwicklungen zu fördern, andererseits müssen die damit verbundenen Sicherheitsrisiken sorgfältig abgewogen und bedacht werden.

Chancen und Vorteile

Die Digitalisierung spielt vor allem in der Aus-und Weiterbildung von Strafgefangenen eine Rolle. Inhaftierte haben zunehmend Zugang zu digitalen Lernplattformen, die es ihnen ermöglichen, neue Fähigkeiten zu erwerben und sich auf ein Leben nach der Haft vorzubereiten. Dies kann die Chance auf eine erfolgreiche WiedereingliederungHaftentlassung erhöhen. Auch die Kommunikation zwischen den Gefangenen und der Außenwelt soll digitalisiert werden. In einigen Haftanstalten haben Gefangene Zugang zu E-Mail-Diensten oder können über spezielle Videokonferenzen mit ihren Angehörigen kommunizieren. Dies kann dazu beitragen, soziale Bindungen aufrechtzuerhalten und die Isolation der Häftlinge zu verringern.

Mit der Einführung und dem Ausbau digitaler Medien in Haftanstalten ist vor allem die Hoffnung verbunden, einem vollständigen Ausschluss aus der Gesellschaft entgegenwirken zu können. Darüber hinaus wird von den Befragten erwartet, dass die Aufrechterhaltung von Kontakten zu Familienangehörigen erleichtert wird. Und auch die Vorbereitung auf die Entlassung soll optimiert werden. Durch den Erwerb digitaler Kompetenzen und den Zugang zu Bildungsressourcen sollen die Chancen der Inhaftierten verbessert werden, sich nach der Haft besser in die Gesellschaft zu integrieren. Insgesamt lässt sich somit eine optimistische Erwartung hinsichtlich einer verbesserten Rehabilitation und Resozialisierung ableiten.

Risiken und Sicherheitsbedenken

Ein wesentliches Risiko besteht im Bereich der Sicherheit. Die Implementierung digitaler Systeme in Haftanstalten kann potenzielle Schwachstellen schaffen, die von den Insassen ausgenutzt werden können, um Sicherheitsmaßnahmen zu umgehen und dementsprechend Schaden anzurichten. Dies erfordert unter erhöhtem Aufwand, eine sorgfältige Überwachung und kontinuierliche Aktualisierung der Sicherheitsvorkehrungen, um Risiken zu minimieren. Darüber hinaus birgt eine mögliche Digitalisierung auch die Gefahr, dass sich eine Kluft zwischen den Gefangenen auftut, da Häftlinge ohne angemessene digitale Kompetenzen oder Zugang zu Technologien benachteiligt werden könnten. Dies kann zu einer weiteren Marginalisierung bereits benachteiligter Gruppen führen und ihre Chancen auf eine erfolgreiche Resozialisierung verringern. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass alle Inhaftierten den gleichen Zugang zu digitalen Bildungs-und Kommunikationsmöglichkeiten haben. Neben den oben genannten Sicherheitsbedenken können auch technische Probleme auftreten, die den reibungslosen Betrieb digitaler Systeme im Strafvollzug beeinträchtigen. Dies erfordert eine ausreichende Schulung des Personals und ist mit hohen Kosten verbunden. Zum anderen bestehen Bedenken hinsichtlich des Missbrauchs des Internets durch die Gefangenen. Der unkontrollierte Zugang zum Internet könnte zu illegalen Aktivitäten oder zum Konsum ungeeigneter Inhalte führen. Dies stellt eine Herausforderung für die Strafvollzugsbehörden dar, die sicherstellen müssen, dass der Internetzugang in Haftanstalten kontrolliert und überwacht wird. In Österreich gibt es daher strenge Richtlinien und Sicherheitsvorkehrungen für den Internetzugang von Strafgefangenen. Dies kann die Nutzung speziell eingerichteter Computerräume unter Aufsicht des Gefängnispersonals umfassen, in denen der Zugang zu bestimmten Websites eingeschränkt ist. Darüber hinaus können technische Filter und Überwachungssysteme eingesetzt werden, um unerwünschte Aktivitäten zu verhindern.

Einschätzung der Strafgefangenen

Die Digitalisierung im Strafvollzug wird von den ehemaligen sowie gegenwärtig Inhaftierten mit gemischten Gefühlen betrachtet. Einerseits sind sich viele der Kosten bewusst, die mit der Implementierung digitaler Technologien verbunden sind. Diese Kosten betreffen vor allem auch die finanzielle Belastung der Justizanstalten. Ein zentraler Punkt der Bedenken betrifft den möglichen Missbrauch der Geräte durch die Gefangenen. Es besteht die Sorge, dass digitale Technologien für illegale Aktivitäten genutzt werden könnten, was zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen erfordern würde, denen sich alle Beteiligten unterziehen müssten. Außerdem wird der Verlust analoger sozialer Interaktionen befürchtet, die für die Resozialisierung und das emotionale Wohlbefinden der Inhaftierten von großer Bedeutung sind. Trotz dieser Bedenken zeigt sich eine bemerkenswerte Bereitschaft vieler Gefangener, mehr Überwachung in Kauf zu nehmen, wenn dies im Gegenzug zu mehr Autonomie führt. Insbesondere die Möglichkeit, regelmäßig mit der Familie zu sprechen oder überhaupt mit dieser in Kontakt zu sein, wird als wertvoll erachtet. Die Chance, auf diese Weise mit Angehörigen in Kontakt zu bleiben, könne wesentlich zur psychischen Stabilität und letztlich zur erfolgreichen Reintegration in das eigene soziale Umfeld beitragen. Ingesamt spiegeln die Ansichten der Häftlinge eine komplexe Abwägung von Vor-und Nachteilen wider. Während die potentiellen Risiken und Kosten der Digitalisierung durchaus erkannt werden, wird der mögliche Gewinn an Autonomie und familiären Bindungen hoch eingeschätzt.

Ausblick

Insgesamt ist die Digitalisierung in den österreichischen Justizanstalten ein umstrittenes Thema, das einer sorgfältigen Abwägung bedarf, um die Bedürfnisse der Insassen nach Kontakt zur Außenwelt und Bildung mit den Sicherheitsanforderungen der Anstalten in Einklang zu bringen. Dieses Gleichgewicht muss ständig überprüft und angepasst werden, um eine angemessene Nutzung des Internets in Haft zu gewährleisten. Die Digitalisierung hat zweifellos das Potenzial, den österreichischen Strafvollzug zu verbessern, indem Prozesse effizienter gestaltet werden und der Zugang zu Bildung und Kommunikation für Insassen erleichtert wird. Sie birgt aber auch Risiken und Herausforderungen, die es zu berücksichtigen gilt. Dabei müssen Bedenken und Widerstände von Teilen des Personals gesehen werden, wobei diese nicht dazu führen dürfen, dass den Gefangenen der Zugang zu den heute selbstverständlichen Werkzeugen und Kompetenzen einer digitalen Gesellschaft dauerhaft verwehrt wird.

One Reply to “Digitalisierung im Strafvollzug”

  1. „Außerdem wird der Verlust analoger sozialer Interaktionen befürchtet, die für die Resozialisierung und das emotionale Wohlbefinden der Inhaftierten von großer Bedeutung sind.“

    Diese Bedenken sind kein Argument, denn sieht man sich den Status Quo an, dann wissen wir es fehlt überall Personal, vorallem auch bei Sozial,- und therapeutischen Personal. Also kann ohnehin nicht der vorgeschriebene Effekt entstehen, ausserdem sind Gespräche zwischen Menschen die man eigendlich nur zwangsbeglückt, niemals nie im Sinne der Erfinder.

    Einen weiterern wesentlichen Pluspunkt bei der Digitalisierung in Haftanstalten, sehe ich im Hinblick auf den Ausbau persönlicher Gesundheitsförderung, Sucht erkrankte, psychisch erkrankte, übergewichtige Personen, usw. können ihr persönliches Gesundheitsprofil langfristig stärken und verbessern, sodass sie nach Haft, nicht zuerst einen langen Weg im Gesundheitssystem durchlaufen müssen.

    Wir wissen alle, Haftbedingungen machen krank.

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