Ein aufsehenerregender Fall aus Österreich beleuchtet die schwierige Balance zwischen Strafrecht und Menschenrechten. Ein Mann, der keine nachweisbare psychische Erkrankung aufweist, wird trotz einer Gesetzesänderung weiterhin in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher festgehalten. Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) erlaubt solche Einweisungen nur bei Vorliegen einer „echten geistigen Störung“. Der Fall wirft grundlegende Fragen über den Umgang mit psychisch gesunden Straftätern im österreichischen Justizsystem auf.

Gesetzlicher Hintergrund und EMRK

Die EMRK sieht vor, dass eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nur bei nachgewiesener, schwerwiegender geistiger Störung zulässig ist. Dieser Begriff ist eng gefasst und bezieht sich auf psychische Erkrankungen, die eine Behandlung in einer speziellen Einrichtung rechtfertigen. Persönlichkeitsstörungen, wie sie häufig bei Straftätern vorkommen, rechtfertigen eine solche Einweisung in der Regel nicht.

Der Fall: Ein psychisch gesunder „Familientyrann“

Im Zentrum des Falles steht ein Mann, der als „Familientyrann“ beschrieben wird. Eine psychiatrische Gutachterin stellte bei ihm eine schwere Charakterstörung fest, betonte jedoch, dass der Mann an keiner psychischen Erkrankung leide. Dennoch wurde er in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen und soll dort potenziell lebenslang verbleiben. Dies steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die fordert, dass nur Menschen mit einer echten geistigen Störung eingewiesen werden dürfen.

Gesetzesänderung 2022

Im Jahr 2022 wurde das österreichische Strafgesetzbuch angepasst, um die Einweisungsvoraussetzungen zu präzisieren. Der Begriff „geistige oder seelische Abartigkeit“ wurde durch „psychische Störung“ ersetzt. Die Gesetzesänderung sollte sicherstellen, dass nur Personen mit tatsächlichen psychischen Erkrankungen in solchen Einrichtungen untergebracht werden. Dennoch bleibt der betroffene Mann in der Anstalt, da die Gerichte die Auffassung vertreten, dass der Gesetzgeber lediglich eine weniger stigmatisierende Formulierung gewählt habe, die inhaltlich jedoch gleich geblieben sei.

Menschenrechtliche Implikationen und Ausblick

Die fortgesetzte Einweisung eines psychisch gesunden Mannes in eine solche Anstalt stellt eine schwerwiegende Verletzung der Menschenrechte dar. Der Fall zeigt, dass die Umsetzung von gesetzlichen Änderungen und die Auslegung durch die Gerichte nicht immer im Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards stehen. Der Fall liegt nun beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der entscheiden muss, ob die österreichische Praxis mit der EMRK vereinbar ist.

Diese Situation wirft eine grundlegende Frage auf: Wie sollen psychisch gesunde, aber charakterlich gestörte Straftäter behandelt werden? Der österreichische Gesetzgeber hat für gefährliche Rückfalltäter eine eigene Kategorie geschaffen, die eine maximale Anhaltedauer von zehn Jahren vorsieht. Doch der vorliegende Fall zeigt, dass es noch viele Unklarheiten und potenzielle Missbräuche gibt, die dringend einer rechtlichen Klärung bedürfen.

Fazit

Der Fall stellt das österreichische Straf- und Maßnahmenvollzugssystem vor eine erhebliche Herausforderung. Er zeigt, dass eine klare Abgrenzung zwischen psychischer Krankheit und krimineller Persönlichkeit notwendig ist, um Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Es bleibt abzuwarten, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in diesem brisanten Fall entscheiden wird. Bis dahin bleibt der betroffene Mann in einer Situation, die für viele Beobachter sowohl rechtlich als auch ethisch fragwürdig ist.

Dieser Beitrag basiert auf einem Blog-Beitrag der am 22. August 2024 von Rechtsanwalt Dr. Helmut Graupner der im Standard erschienen ist.

One Reply to “Psychisch Gesunde in Einrichtungen für geistig abnorme Rechtsbrecher: Ein Konflikt mit der Menschenrechtskonvention”

  1. „Charakter Störung“ als Diagnose, das finde ich mal sehr kreativ, ist eine Top Leistung einer Gutachterin.

    Zu bedenken geben möchte ich, dass so ein untragbares Vorgehen von Gutachter*innen, zigtausend Menschen betreffen kann welche, beispielsweise unter Depressionen oder einer Manie oder beiden leiden, also aufgrund ihrer Bipolaren Erkrankung (welche nicht selbst gewählt ist) sehr rasch einfach weg gesperrt werden.
    Motto: „Aus den Augen aus dem Sinn“.

    Hat man früher Menschen welche „anders“ als eine gewisse Mehrheit, in verschlossene Krankenanstalten gesteckt und dort durch sogenannte „Wärter“ ohne Fach Ausbildung versteckt, so ist es heute der Maßnahmenvollzug.
    Anstatt Menschen rechtzeitig und ausreichend Psychologische Betreuung niederschwellig und kostenneutral anzubieten also auf e Card, wartet man lieber auf einen Anlass diese Menschen zu verwahren um weiterhin ohne individueller Fachspezifischer Betreuung auszukommen.
    Ich bin der Meinung, diese Vorgänge sind nicht nur menschenunwürdig, sondern auch Folter.

    Statistik: Menschen mit psychischen Erkrankungen
    https://www.psychotherapie.at/forschung/zahlen-daten-fakten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert