Im Rahmen der Veranstaltung „Wir sprechen für uns selbst! Gefangene ergreifen das Wort“ der WienWoche haben wir ein Interview mit Mansoor Adayfi vom Guantanamo Project geführt.
Wenn Sie über Ihre Erfahrungen in Guantanamo nachdenken, wie haben die Jahre der Inhaftierung Ihre Ansichten über Menschenrechte und Gerechtigkeit geprägt?
Meine Jahre in Guantanamo haben mich gezwungen, mich damit auseinanderzusetzen, wie zerbrechlich Menschenrechte und Gerechtigkeit wirklich sind. Insbesondere wenn ein System ohne jegliche Form der Rechenschaftspflicht funktioniert. Über ein Jahrzehnt lang ohne Anklage inhaftiert zu sein, hat mir gezeigt, dass Menschenrechte nicht automatisch gelten – sie müssen erkämpft, verteidigt und geschützt werden. Auch bei der Gerechtigkeit geht es nicht nur um Gesetze oder Rechtssysteme – es geht um die Menschlichkeit hinter diesen Gesetzen. Was ich in Guantanamo gelernt habe, ist, dass wir selbst in den dunkelsten und hoffnungslosesten Situationen an der Menschenwürde festhalten müssen. Ohne sie wird die Gerechtigkeit hohl, und die Menschenrechte werden zu bloßen Worten reduziert. Ich habe aus erster Hand gesehen, wie schnell diese Rechte verschwinden können, wenn die Welt ein Auge zudrückt.
In Ihren Memoiren gehen Sie sowohl auf die physischen als auch auf die psychischen Herausforderungen der Haftzeit ein. Welche Strategien haben Sie entwickelt, um Ihre psychische Widerstandsfähigkeit während dieser Jahre aufrechtzuerhalten?
Ich glaube nicht, dass man an einem Ort, der darauf ausgelegt ist, einen physisch und psychisch zu brechen und zu zerstören, seine geistige Widerstandskraft vollständig aufrechterhalten kann. Guantanamo war ein solcher Ort – eine Maschine der Zerstörung. Wir haben lediglich versucht, den Schaden zu minimieren, aber niemand geht ohne Narben davon. Wir alle tragen Spuren auf unseren Körpern und Seelen, die nie ganz verheilen werden.
Widerstand, in welcher Form auch immer, war für mich überlebenswichtig. Mein Glaube an Allah, meine Liebe zu meiner Familie und der Glaube, dass die Wahrheit mich befreien würde, waren meine Anker. Ich verließ mich auf meinen Geist als Zufluchtsort und flüchtete mich in Erinnerungen und Fantasie, wenn die Realität zu unerträglich wurde. Ich fand auch Kraft im Schreiben und in der Kunst – selbst, wenn die Worte meine Zelle nie verließen, gab mir der Akt des Schaffens einen Sinn.
Aber das vielleicht wichtigste Überlebensmittel war die menschliche Verbindung, die wir untereinander aufbauten. Der Austausch von Geschichten, Witzen, Schmerz und sogar Hoffnung mit anderen Häftlingen half uns, eine fragile mentale Stabilität aufrechtzuerhalten.
Was sind Ihrer Meinung nach die dringendsten Schritte, die die internationale Gemeinschaft unternehmen sollte, um die Behandlung von Personen, die zu Unrecht inhaftiert wurden, zu verbessern?
Das Erste, was die internationale Gemeinschaft tun muss, ist, die Verantwortlichen für diese Entwürdigungen zur Rechenschaft zu ziehen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen, die eine unbefristete Inhaftierung ohne Anklage zulassen, wie sie in Guantanamo zu beobachten sind, müssen unverzüglich abgeschafft werden. Regierungen und internationale Gremien müssen Transparenz fordern, unabhängige Untersuchungen dieser Praktiken durchführen und den zu Unrecht Inhaftierten Entschädigungen anbieten.
Ein weiterer entscheidender Schritt ist die weltweite Verpflichtung zur Beendigung der Folter in all ihren Formen. Die Überlebenden brauchen angemessene psychologische und soziale Unterstützung, um ihr Leben nach dem Trauma der unrechtmäßigen Inhaftierung wieder aufzubauen. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Ungerechtigkeiten in Vergessenheit geraten. Was wir brauchen, sind echte Maßnahmen und nicht nur Versprechungen, um sicherzustellen, dass solche Misshandlungen nie wieder vorkommen.
In Ihren Büchern ist oft von der Kraft der Hoffnung und der Menschlichkeit die Rede, selbst unter den schwierigsten Umständen. Können Sie einen Moment während Ihrer Gefangenschaft schildern, der Sie in Ihrem Glauben an diese Werte bestärkt hat?
Hoffnung ist ein schmaler Grat zwischen Leben und Tod, aber ein mächtiger Grat.
Ein Moment, der mich in meinem Glauben an die Kraft der Hoffnung und der Menschlichkeit bestärkte, war, als ich sah, wie selbst die Wärter Opfer desselben Systems wurden, das uns unsere Menschlichkeit nehmen wollte. Ich erinnere mich an die Geschichte eines Armee-Hauptmanns, eines muslimischen Geistlichen, der nur deshalb inhaftiert wurde, weil er sich gegen die Folterungen und Misshandlungen in Guantanamo wehrte. Ein anderes Beispiel war eine Soldatin, die einen 12-jährigen Jungen sah, der bei uns inhaftiert war. Jedes Mal, wenn sie zur Arbeit in seinen Block kam, brachte sie ihm Süßigkeiten und Essen und sagte: „Hab keine Angst, mach dir keine Sorgen, es wird dir gut gehen. Ich habe einen Bruder in deinem Alter.“ Diese kleinen Taten haben den Glauben an das Gute im Menschen wiederhergestellt, selbst in einem so brutalen System.
Was sind Ihre persönlichen Ziele in Bezug auf die Sensibilisierung für die Auswirkungen der unbefristeten Haft und das Eintreten für eine weltweite Reform der Haftpraxis?
Mein Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass die Welt die Geschichte von Guantanamo und die Unmenschlichkeit von Folter und unbefristeter Haft nie vergisst. Ich möchte mit Menschenrechtsorganisationen, Aktivisten und Regierungen zusammenarbeiten, um auf Rechtsreformen zu drängen, die verhindern, dass so etwas niemals wieder vorkommen kann.
Meine Aufgabe ist einfach: dafür zu sorgen, dass diejenigen, die noch immer ohne Anklage oder Prozess hinter Gittern sitzen, nicht vergessen werden, und dafür zu sorgen, dass die Lehren aus Guantanamo nie verloren gehen. Außerdem will ich Gerechtigkeit und Rechenschaftspflicht. In diesem Kampf geht es nicht nur darum, Unschuldige zu befreien – es geht darum, die Menschheit vor Unterdrückungssystemen zu schützen, die schnell monströs werden können, wenn sie nicht kontrolliert werden.
Mansur Adayfi, Danke für das Interview!
Von Jahr zu Jahr auf unbestimmte Zeit!
Unglaublich das ein Mensch diese Qualen überleben kann. Knapp 15 Jahre in einem Gefangenen Lager der übelsten Sorte irgendwo im Nirgendwo.
Völlig abgeschnitten von der übrigen Welt, ausgeliefert einer Bande handverlesenen Befehls EmpfängerInnen, denen man offensichtlich vorab das Herz rausgeschnitten , oder sie einer Gehirnwäsche unterzogen hat.
Sachlich ist diese Menschen vernichtende Inhaftierung ohne Anklage welche Herr Al-Dayfi durch machte nicht zu argumentieren.
Ja, 9/11 war und ist, ein Trauma für die Menschen die damals verstorben sind und die Welt. Allerdings darauf mit Vernichtungslager zu reagieren, dort willkürlich Menschen auf unbestimmte Zeit zusammen zu rotten, zu foltern, sogar zu töten, nur weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren, dass ist nicht zivilisiert.
Ähnliches jedoch passiert auch in Österreich, und das im 21. Jhd.
Wenn Sie Zustände im Maßnahmenvollzug ernsthaft betrachten, also nicht den Mainstream Medien glauben wollen, sondern mit Betroffene sprechen, so können Sie erkennen, dieses weg sperren (verstecken) „Aus den Augen aus dem Sinn“ auf unbestimmte Zeit, ist gelebte Praxis.
Es passiert Menschen dann, wenn sie auf Grund psychischer Erkrankung eine Straftat begangen haben, oder auch nur die Annahme besteht, eine gefährliche Tat irgendwann mal auszuführen, bspw. bei der Anklage der gefährlichen Drohung im Wahn. Wohl wird dann ein Urteil im Strafrahmen getroffen, der eine oft lange Haftstrafe aussagt, doch dazu kommt meist eine GutachterInnen Beurteilung hinzu, aufgrund dieser wird eine Risikoeinschätzung getroffen welche jedoch nicht mittels vergleichender eindeutiger Daten Aufzeichnung und Messbarkeit erstellt wird, sondern vielmehr nach Gefühl, ich vermute mal, auch geht es um Sympathie.
GutachterInnen sowie RichterInnen freilich berufen sich auf Erfahrung.
Oft wird, so berichten Betroffene, innerhalb von nur einer 1 Stunde Begutachtung, das gesamte Leben eines Menschen beurteilt.
Eine im Maßnahmenvollzug untergebrachte Person, weiß also ebenso nicht, wann sie in Freiheit kommt. Im Gegenteil oft wird unterstellt das die zu „begutachtende“ Person nur das sagt, was die BeamtInnen und PsychiaterInnen hören wollen – was für eine perfide Annahme.
Meine Fragen also:
Hat die Justiz nicht einen ganz klaren Auftrag zur Therapie und Resozialisierung?
Wird unser Steuergeld für Menschen unwürdige Haftbedingungen und willkürlich verwendet?
Wollen wir als Gesellschaft Bedingungen in Österreich welche Herr Al-Dayfi in Guantanamo erleben musste?
Zum Schluß möchte ich mich bei Herrn Al-Dayfi herzlich für seine Aufklärungsarbeit bedanken. Mein Respekt begleitet ihn auf allen seinen zukünftigen Wegen, mögen seine Wunden heilen.