Eine persönliche Reise durch die Abgründe des österreichischen Justizsystems – vom Schock des Erstkontakts, Isolation und Hilflosigkeit bis hin zu kleinen Lichtblicken von Menschlichkeit.
Nachdem ich die Befragung der Parteien zur Situation in österreichischen Gefängnissen (Blickpunkte 3/2024) gelesen habe, blieb ich mit einem Gefühl der Verständnislosigkeit zurück. Offensichtlich fehlt es in der Politik an einem grundlegenden Verständnis darüber, wie es tatsächlich in den Gefängnissen zugeht. Deshalb möchte ich Sie heute auf eine Reise mitnehmen, die Ihnen die Zustände in der Untersuchungshaft an meinem Beispiel aufzeigen wird.
Ich kam mit diesem System in Kontakt, als eines Abends um 23 Uhr mehrere Cobra-Beamte die Tür öffneten und mich nackt aus meiner Wohnung zerrten. Diesem fatalen Moment ging eine jahrelange toxische Beziehung voraus, die von seelischem Missbrauch geprägt war. Nachdem ich nicht mehr konnte und in einer Kurzschlussreaktion gewalttätig geworden war, sollte sich mein Leben für immer verändern.
Mein erster Kontakt mit einem Pflichtverteidiger fand auf der Polizeistation statt und dauert keine fünf Minuten. Obwohl ich die Beamten darauf hingewiesen habe, dass meine Hand wahrscheinlich gebrochen sei, wurde ich erst 18 Stunden später einem Arzt vorgeführt. Obgleich ich offensichtlich in einem psychischen Ausnahmezustand war, schien dies niemanden zu interessieren: weder die Beamten noch den Psychiater, dem ich vorgeführt wurde. Die Lösung der Strafjustiz war, mich mit viel zu starken Psychopharmaka ruhigzustellen und mich meinem Schicksal zu überlassen.
So fand ich mich nach einem Nervenzusammenbruch in einer neun Quadratmeter großen Zelle wieder. Dort musste ich mich vor mehreren Beamten vollständig entkleiden, bücken und husten. Die Zelle wurde rund um die Uhr von einer flackernden Neonröhre beleuchtet und wurde 24 Stunden lang videoüberwacht. Es gab keinerlei Einrichtung, weder Bett noch sonstige Annehmlichkeiten. In diesem Zustand ließ man mich weitere drei Tage dahinvegetieren, ohne dass es jemanden außer die Essenszusteller, interessiert hätte.
23 Stunden am Stück eingesperrt zu sein, war wohl die schlimmste und grausamste Zeit meines Lebens. Man fühlt sich allein, verlassen und vergessen. Nicht einmal eine Uhr, an der man die Sekunden zählen könnte, gibt es in diesem Raum. Die Zeit verschwimmt, ein winziges Fenster lässt nur erahnen, ob es Tag oder Nacht ist. Kontakt zu fachkundigem Personal im Sinne eines Psychologen oder Psychiaters hatte ich nicht.
Es fällt mir bis heute schwer darüber zu sprechen. Es war wie ein Alptraum, aus dem man nicht mehr aufwacht. Noch heute ist es mir schwer möglich, unter einer Neonröhre zu stehen, ohne dass mich das Erlebnis einholt.
Die Zelle zu verlassen war mir aus persönlichen Gründen nicht möglich, zu groß war die Angst vor dem was außerhalb dieser neun Quadatmeter mit mir geschehen könnte. Am vierten Tag nahmen sich schließlich ein Justizwachebeamter und eine Justizwachebeamtin meiner an. Zu diesem Zeitpunkt lief ich bereits zwei Tage nackt durch meine Zelle, ohne Hoffnung, diese jemals verlassen zu können. Es war mir auch egal, ob und was die Beamten über die Videokamera sahen. In diesem Moment war mir alles gleichgültig geworden. Nachts hatte ich unvorstellbare Albträume, tagsüber konnte ich nicht aufhören zu weinen.
Zu diesem Zeitpunkt lernte ich meinen späteren Mithäftling kennen, dem ich es wohl verdanke, dass ich Ihnen heute meine Erlebnisse schildern kann. Er war zwei Beamten durch vorherige Insassen bereits positiv aufgefallen, und sie hofften, er könnte mich aus diesem Strudel der Hoffnungslosigkeit retten. Ein Spaziergang in einem betonierten Innenhof ersetzte in keiner Weise die Behandlung, die ich benötigt hätte. Aber zumindest konnte ich für kurze Zeit aufhören zu weinen, wodurch ich meine Gedanken neu ordnen konnte. Es fühlte sich an, als würde die Leere und Schwärze, die mich umgaben, für einen kurzen Moment durchbrochen wurden und Licht hindurchfiel.
Solche Zeichen des Mitgefühls stellen leider keinesfalls die Norm im Strafvollzug dar. Umso wichtiger sind diese Akte der Menschlichkeit, die ich durch zwei unglaublich liebe Beamte und einen fantastischen Mithäftling erfahren durfte, worauf ich später zurückkommen werde.
Vorher möchte ich Sie allerdings auf einen Umstand hinweisen, der wesentlich banaler erscheint, aber dennoch von großer Bedeutung ist: nämlich das Essen. Dafür sollte man versuchen zu verstehen, wie wichtig es im Leben eines Inhaftierten ist und wie viele unnötige Konflikte es in den Justizanstalten anstachelt. Denn Häftlinge können wöchentlich mit sehr begrenzten Mitteln einkaufen, um für sich selbst zu kochen. Dabei müssen sie dann abwägen, wann sie das Essen der Kantine erträglich finden. Oft genug gibt es kaltes Essen, ungewürztes Essen, völlig verwürztes Essen, Dosenschwammerl mit Saft erhitzt – angeblich auch Essen. Dadurch kommt es aus Neid und Unzufriedenheit zu Diebstählen. Klar, weder das Leben noch eine Haftanstalt sind ein Ponyhof und niemand erwartet ein Haubenmenü, allerdings erschwert man psychisch angegriffenen Menschen ihre Situation dadurch zusätzlich.
Unsinnigerweise müssen die Häftlinge um jeden Einrichtungsgegenstand ansuchen, um besagte Lebensmittel in den unfassbar heißen und schwülen Zellen zu lagern und zu verkochen. Bitte denken Sie nicht, dies würde dem Steuerzahler zur Last fallen – diese Dinge sind ausschließlich von den Insassen selbst zu finanzieren, es bedarf eines Antrags und mehrerer Wochen Wartezeit. Und selbst dann wird zum Beispiel ein Kühlschrank nur in seltenen Fällen bewilligt.
Eine Erklärung dafür gibt es nicht. Wie vieles in dieser Einrichtung wird es abgetan mit einem: „Es ist, wie es ist.“
Da wir gerade bei sinnlosen oder unerklärlichen Dingen sind, möchte ich Ihnen einige weitere Beispiele geben. Die Telefonnummer eines Familienmitglieds freizuschalten dauert ein bis zwei Wochen, ein Besuch von Bekannten oder Freunden sechs Wochen, ein Buch auszuleihen drei Wochen, Kontakt mit einem Verwandten durch eine Plexiglasscheibe mittels Telefons ist zweimal pro Woche gestattet. All dies stellt die Realität in österreichischen Gefängnissen dar, ohne dafür eine Erklärung zu liefern oder auf den Inhaftierten und deren Bedürfnisse einzugehen.
Wenn man zum ersten Mal mit diesem System in Kontakt kommt und nichts mehr braucht als eine Umarmung oder ein persönliches Gespräch mit jemandem, der einen aufbaut, lässt einen dies mit Unverständnis zurück. Es beschleicht einen das Gefühl, als wolle die österreichische Justiz einem die ohnehin furchtbare Zeit noch viel schwieriger machen, als bräuchte es über den Freiheitsentzug mit all seinen Einschränkungen hinaus noch Sekkiererei und Schikanen.
Wissen Sie, wie sich Hilflosigkeit anfühlt?
Es obliegt den Beamten dann, ob man 23 Stunden am Tag eingesperrt ist oder doch eine Stunde aus der Zelle kann. Es obliegt den Beamten, ob man zweimal in der Woche duschen gehen darf. Es obliegt den Beamten, inwieweit man Hilfe bekommt. Es obliegt den Beamten, Lesen auf dem Bett als persönliche Beleidigung aufzufassen und jemanden dafür sieben Tage in Einzelhaft zu stecken. In meinem Fall hatte ich unfassbares Glück. Ich habe Beamte erwischt, welche darum bemüht waren, mich aufzubauen und mir das Leben nicht unnötig schwer zu machen und dafür manche Regel gebogen haben. Etwa, wenn der Psychotherapeut nochmal gerufen wurde, nachdem ich nicht aufhören konnte zu weinen. Und solche Kleinigkeiten.
Ohne diese Hilfe steht man sonst den beschriebenen Systemkrankheiten machtlos gegenüber, selbst vor dem Hintergrund einer psychischen Erkrankung und der Unschuldsvermutung.
Was will ich Ihnen damit sagen? Im Gegensatz zu der Meinung unserer amtierenden Politiker, bedarf es nicht unbedingt viel Geld und viel Aufwand, um wirksame Änderungen vorzunehmen. Aus erster Hand kann ich Ihnen bestätigen, dass es vielmals die kleinen Dinge sind, die menschlichen Dinge, die einen in diesem System nicht verzweifeln lassen. Obwohl es Zweifelsohne auch teure Baustellen gibt, wie
- mehr Personal, um einen Dienstbetrieb sicherzustellen, der Resozialisierung fördert
- breitere Fortbildungsmöglichkeiten für alle Mitarbeiter:innen
- eine bessere Bezahlung aller Beamten und Beamtinnen;
Dennoch sind es kleine Dinge, die das Leben innerhalb der Mauern erträglicher machen, um einen nicht aufgeben zu lassen, um weiterzukämpfen und irgendwann ins Leben und in die Gesellschaft draußen zurückzufinden. Wegsperren alleine trägt allerdings gar nichts dazu bei, sondern verringert die Chancen. Und wie schnell man sich in dieser Abwärtsspirale befinden kann, hätte ich früher selbst nicht geglaubt.
Letztlich ist es Ihnen überlassen, die Frage zu beantworten, ob solche Zustände in einem Land wie Österreich für jemanden, der – wohlgemerkt – mit einer Unschuldsvermutung in Haft sitzt, zumutbar sind. Ich hoffe, dass weder Sie noch einer Ihrer Liebsten jemals das Pech hat, damit konfrontiert zu werden.
Autor: Anonym, Name der Redaktion bekannt