Mit dem Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 trat in Österreich eine Reform in Kraft, die die rechtlichen Regelungen für die Unterbringung psychisch gestörter Straftäter modernisieren soll. Doch reicht diese Reform aus, um den Maßnahmenvollzug spürbar zu entlasten? Der folgende Beitrag fasst die wichtigsten Änderungen zusammen und beleuchtet, ob das erklärte Ziel erreicht wird.

Einleitung

Seit 1975 ermöglicht das österreichische Strafrecht die Unterbringung von psychisch gestörten Straftätern, die als gefährlich für die Gesellschaft gelten, in speziellen Einrichtungen. Diese Einweisungen dauern so lange, bis die betroffenen Personen als ungefährlich eingestuft werden – im Extremfall lebenslang. Aufgrund der stark gestiegenen Zahl von Unterbringungen und der damit verbundenen Belastung des Systems war eine Reform dringend nötig. Das Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022 (MVAG) sollte diese Probleme beheben. Seit dem 1. März 2023 ist es in Kraft.

Die neue Rechtslage seit März 2023

Terminologische Änderungen: Weniger Stigmatisierung

Eine der offensichtlichsten Änderungen betrifft die Terminologie. Anstatt von „Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher“ spricht man nun von „forensisch-therapeutischen Zentren“. Auch der Ausdruck „geistige oder seelische Abartigkeit“ wurde durch „schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung“ ersetzt. Diese Anpassungen zielen darauf ab, die Betroffenen weniger zu stigmatisieren und die Sprache zu modernisieren.

Anlasstaten: Wenig Veränderung bei den Voraussetzungen

Die grundlegenden Einweisungsvoraussetzungen wurden nur geringfügig verändert. Eine Unterbringung kann nach wie vor bei Straftaten erfolgen, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind. Eine häufig geforderte Erhöhung dieser Schwelle auf drei Jahre wurde nicht umgesetzt, was bedeutet, dass auch weiterhin minderschwere Delikte wie gefährliche Drohungen zur Unterbringung führen können. Vermögensdelikte bleiben jedoch, wie bisher, ausgenommen, es sei denn, sie wurden mit Gewalt oder Drohung begangen.

Gefährlichkeitsprognose: Präzisere Vorgaben, aber wenig Einfluss

Neu im Gesetz ist die Anforderung, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Person ohne Unterbringung in absehbarer Zukunft schwere Straftaten begehen wird, und dass diese in direktem Zusammenhang mit der psychischen Störung stehen. Experten bezweifeln jedoch, dass dies die Praxis der Gerichte wesentlich verändert hat, da diese bereits vorher ähnliche Kriterien angewandt haben. Das Gesetz sieht außerdem vor, dass bei geringfügigen Anlasstaten (mit maximal drei Jahren Freiheitsstrafe) nur dann eine Einweisung erfolgen darf, wenn zu befürchten ist, dass schwerere Straftaten gegen Leib, Leben oder die sexuelle Integrität folgen.

Die Reform, die nur eine oberflächliche war…

Vorläufiges Absehen vom Vollzug der Unterbringung

Eine weitere bedeutende Änderung betrifft die Möglichkeit, vorläufig vom Vollzug der Unterbringung abzusehen, wenn die Behandlung der Person auch außerhalb einer Anstalt möglich ist. Sollte die Person die festgelegten Bedingungen nicht einhalten, kann die Unterbringung jederzeit widerrufen werden, wobei das Gesetz vorschreibt, dass dies nur als letztes Mittel eingesetzt werden soll.

Neuerungen für junge Straftäter

Für Jugendliche und junge Erwachsene (bis 21 Jahre) sind die Voraussetzungen für eine Unterbringung wesentlich verschärft worden. Eine Einweisung ist nun nur noch bei besonders schweren Straftaten, die mit mindestens zehn Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, möglich. Dies wird mit dem Argument begründet, dass das Gehirn bis zum 25. Lebensjahr noch nicht vollständig entwickelt ist. Auch eine zeitliche Begrenzung der Unterbringung auf maximal 15 Jahre wurde eingeführt.

Prozessuale Änderungen

Die Reform bringt auch einige Änderungen im Verfahrensrecht mit sich:

  • Zuständigkeit des Gerichts: Künftig entscheidet das „große Schöffengericht“, das aus zwei Berufsrichtern und zwei Schöffen besteht, über die Unterbringung.
  • Sachverständige: Neben Psychiatern können auch klinische Psychologen als Sachverständige hinzugezogen werden, wenn kein Psychiater verfügbar ist. Diese Regelung ist allerdings umstritten.
  • Anwesenheit des Sachverständigen: Der Sachverständige muss während der gesamten Verhandlung anwesend sein, um die betroffene Person zu beobachten und mögliche Fragen direkt zu beantworten. Mit Ende des Beweisverfahrens wird er aber bereits entlassen.

Gestiegene Einweisungen und lange Anhaltedauer: Ein ungelöstes Problem

Ein zentrales Problem, das auch die Reform des Maßnahmenvollzugs nicht vollständig lösen konnte, ist der dramatische Anstieg der Einweisungen in den letzten Jahrzehnten. Zwischen 2001 und 2023 hat sich die Zahl der Personen, die in den Maßnahmenvollzug eingewiesen wurden, verdreifacht – von etwa 500 auf rund 1500 Untergebrachte. Trotz rückläufiger Straftaten und Verurteilungen in der Gesamtbevölkerung stiegen die Einweisungszahlen kontinuierlich an. Dies liegt vor allem daran, dass Gerichte und Sachverständige immer häufiger die Kriterien für die Einweisung als erfüllt ansehen. Die Gerichte agieren hier oftmals aus Vorsicht, um zu verhindern, dass entlassene Personen erneut schwere Straftaten begehen, was medial viel Aufmerksamkeit erhalten könnte.

Eine weitere Herausforderung ist die lange Anhaltedauer der Untergebrachten. Viele von ihnen verbleiben über viele Jahre, teils Jahrzehnte, in den Einrichtungen. Dies liegt unter anderem an der restriktiven Entlassungspraxis. Selbst wenn die Gefährlichkeitsprognose nicht mehr eindeutig ist, entscheiden sich die Gerichte oftmals gegen eine Entlassung. Besonders betroffen sind Straftäter, die aufgrund minderschwerer Delikte wie Widerstand gegen die Staatsgewalt oder gefährlicher Drohungen eingewiesen wurden. In diesen Fällen wird häufig trotzdem weiterhin eine Gefährlichkeit prognostiziert, die eine Entlassung verhindert.

Die durch die Reform angestrebte Entlastung des Systems bleibt also vorerst aus. Es bleibt fraglich, ob das MVAG 2022 die nötigen strukturellen Veränderungen bringt, um sowohl die Zahl der Einweisungen zu senken als auch den Betroffenen eine frühere Entlassung zu ermöglichen, wenn keine Gefahr mehr von ihnen ausgeht.

Fazit

Es wurden wichtige, aber nicht weitreichende Reformen umgesetzt.

Das MVAG 2022 war ein Schritt in die richtige Richtung, doch die tiefgreifende Reform, die viele Experten gefordert hatten, bleibt weiterhin aus. Die Schwelle für die Einweisung in forensisch-therapeutische Zentren wurde nicht signifikant angehoben, und viele der Änderungen sind eher als Präzisierungen der bisherigen Praxis zu sehen. Zwar gibt es Verbesserungen, vor allem im Bereich der Terminologie und der Verfahrensregelungen, aber ob das Gesetz wirklich eine spürbare Reduktion der Einweisungen bewirken wird, bleibt fraglich.

Letztlich bleibt der Spannungsbogen zwischen dem Schutz der Gesellschaft und den Rechten psychisch kranker Straftäter weiterhin bestehen.

3 Replies to “Reform des Maßnahmenvollzugs: Eine Zwischenbilanz”

  1. Wenig überraschend. Solch eine „Reform“ kann auch nur den Burgherren und -fräulein der Generaldirektion einfallen. Veränderungen werden mittelalterlich abgehandelt – nämlich gar nicht. Hexenverbrennungen trauen sie sich nicht mehr.

  2. Sehr informativ.

    Nein, keinesfalls reichen diese „Absicht’s Ankündigungen“ aus.

    Zu Beginn müssen wir uns auch als Gesellschaft Fragen stellen wie, wieso kommt es überhaupt dazu, dass es mehr sogenannte „Super Gefährliche“ Personen in unserer Mitte gibt? Reicht unsere Prävention’s Arbeit gegen Gewalt aus? Werden psychische Störungen überhaupt rechtzeitig erkannt, die korrekte Diagnose gestellt und anschließend menschenwürdig behandelt? Gibt es eine ausreichende Medikamentöse Versorgung. Wollen wir Menschen welche von einer Norm abweichen überhaupt helfen, oder wollen wir sie nur verstecken oder los haben, nach dem Motto, aus den Augen aus dem Sinn.

    Nicht zu vergessen ist, Täter Innen sind ebenso Menschen, aus welchem Motiv auch immer haben diese Personen eine Straftat begangen, sie haben ihre Strafe erhalten – „weil es das Volk so will“. Gleichzeitig ist es in einem Rechtsstaat Pflicht durch eine professionelle TäterInnen Arbeit auch Opfer Fürsorge zu leisten.

    Erst wenn wir wieder beginnen alle Menschen als individuelle Personen wahr zu nehmen, weg kommen von der Ellbogen Leistung’s Gesellschaft hin zur Gemeinschaft, erst dann können wir Straftaten wieder minimieren.

    Ich weiß, es ist möglich, wir müssen nur wollen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert