Interview mit Dr. Gilda Giebel zu ihrem neuen Buch „Triebhaft. Zwischen Narzissten, Sadisten und Psychopathen.“ Sie schildert uns, was sie als Psychologin in der deutschen Sicherungsverwahrung erlebt hat. Ich habe sie dazu befragt und spannende Einblicke erhalten …
Haben Sie jemals das Gefühl gehabt, dass Sie selbst durch die Nähe zu Tätern in der Sicherungsverwahrung „verändert“ wurden? Gibt es Momente, in denen Sie sich Sorgen machen, dass die Dunkelheit, die Sie täglich erleben, sich auf Ihre eigene Psyche auswirken könnte?
Das ist eine sehr gute Frage. Darüber habe ich mir auch Gedanken gemacht. Es gibt dieses bekannte Zitat von Nietzsche, dass wenn man zu lange in den Abgrund starrt, irgendwann der Abgrund auch zurück starrt. Die sechs Jahre, die ich in der Sicherungsverwahrung gearbeitet habe, waren prägend. Ich habe mit vielen dissozialen Menschen und Psychopathen zu tun gehabt und mit diesen jede Woche 50 Minuten gesprochen.
Man lernt dann auch, wie diese Menschen denken, wie sie zu bestimmten Themen stehen und wie sie mit ihren Straftaten umgehen. Ich würde schon sagen, dass ich mich vielleicht ein bisschen verändert habe. Und zwar insofern, dass ich mir weniger Sorgen mache und weniger ins Grübeln komme, weil ich gemerkt habe, dass Psychopathen unbeschwerter durchs Leben gehen. Sie übernehmen fast keine Verantwortung, sie empfinden kaum Angst und haben auch keine empathischen Empfindungen.
Diese Eigenschaften sind im zwischenmenschlichen Zusammenleben zwar schlimm, aber für die Betroffenen nicht unangenehm. Man macht sich das Leben ein bisschen leichter, wenn man sich nicht so viele Sorgen macht und sich ständig in andere Menschen hineinversetzt. Das heißt, vielleicht bin ich auch ein bisschen dissozialer geworden, weil ich von den Männern gelernt habe, meine eigenen Bedürfnisse stärker zu berücksichtigen und mir weniger Sorgen zu machen.
In Fällen, in denen Täter nach Ihrer Einschätzung wieder freigelassen werden und dann erneut schwerste Verbrechen begehen, fühlen Sie sich persönlich mitschuldig? Wie gehen Sie mit diesem potenziellen moralischen Dilemma um?
Tatsächlich ist bisher niemand entlassen worden, der rückfällig geworden ist, meines Wissens nach. Das kann aber noch passieren, im Laufe der Zeit. Es ist aber vorgekommen, dass ich mich für Sicherungsverwahrte eingesetzt habe, sie dann gelockert wurden und dann andere Fehler begangen haben. Sie sind zum Beispiel bei einem Freigang zu spät in die Einrichtung zurückgekommen, waren alkoholisiert oder haben Unterschriften gefälscht und sich irgendwo aufgehalten, wo sie sich nicht aufhalten sollten. Das war enttäuschend für mich, weil ich mich für sie eingesetzt habe. Aber letztlich wurden nicht so viele meiner Klienten aus der Sicherungsverwahrung entlassen, das muss man schon auch sagen.
Und können Sie sich vorstellen, wie Sie dann damit umgehen würden?
Es kommt so ein bisschen darauf an, wie ich zu diesen Menschen stehe. Wenn ich einem Sicherungsverwahrten skeptisch gegenüberstehe und davon ausgehe, dass er sehr gefährlich ist und wahrscheinlich wieder rückfällig wird, dann fühle ich mich in meiner Einschätzung bestätigt, wenn er tatsächlich rückfällig wird. Ich würde in so einem Fall allerdings nicht gerne bestätigt werden und hätte mir gewünscht, dass die Person straffrei leben wird. Wenn es aber jemand ist, bei dem ich denke: „ Ah, der Klient schafft das bestimmt. Er hat so gut in der Therapie mitgewirkt und sich so gut entwickelt.“ und dann wird er rückfällig, dann wäre ich auch persönlich enttäuscht und hätte vielleicht Zweifel an meiner fachlichen Kompetenz. Das wäre dann nochmal härter, finde ich.
Glauben Sie, dass es bei bestimmten Tätern eine „gebrochene“ Menschlichkeit gibt, die irreversibel ist? Würden Sie in extremen Fällen für lebenslange Verwahrung plädieren, auch wenn dies den Prinzipien der Resozialisierung widerspricht?
Ich glaube schon, dass es Menschen gibt, die wirklich unbelehrbar sind und so gefährlich, dass man sie nicht mehr entlassen kann. Ich würde es mir aber nicht zutrauen herauszufinden, wer das ist, denn jeder Mensch kann sich potentiell verändern. Allerdings können sich manche Täter besonders gut verstellen. Es ist nicht so leicht herauszufinden, welche Menschen wirklich so gefährlich sind, dass sie nur vorgeben sich gebessert zu haben und dabei weiterhin eine Gefahr darstellen und wer sich wirklich verändert hat.
Ich würde nicht für eine lebenslange Verwahrung plädieren, sondern bin dafür, dass man immer wieder überprüft, ob der Betroffene noch gefährlich ist, immer wieder nachjustiert und den Untergebrachten auch neue Freiheitsgrade gewährt, damit er sich beweisen kann.
Könnte es Ihrer Meinung nach in extremen Fällen gerechtfertigt sein, medizinische oder genetische Interventionen bei Tätern vorzunehmen, um ihre Triebhaftigkeit zu unterdrücken oder zu kontrollieren?
In Absprache mit den Betroffenen stellen solche Maßnahmen eine Möglichkeit dar, um den sexuellen Drang und damit auch die Gefährlichkeit zu mindern. Wenn sich der Betroffene entschließt seine Sexualität aufzugeben und damit ein Leben in Freiheit führen zu können, ohne neue Opfer zu produzieren, kann man ihn mit triebdämpfenden Medikamenten dabei unterstützen. Aber das geht nur in Absprache mit der betroffenen Person. Man kann niemanden dazu zwingen, diese triebdämpfenden Mittel einzunehmen. Das muss die Entscheidung des Betroffenen bleiben.
Wie weit kann man denn da von einer Freiwilligkeit ausgehen? Also wenn jemand jetzt weiß, er wird aus dieser Sicherungsverwahrung, bei uns der Maßnahmenvollzug, nicht entlassen, wenn er nicht bestimmte Schritte setzt, also ob es jetzt eine Therapie ist, die er macht oder eben vielleicht eben auch triebdämpfende Medikamente nimmt. Kann man da dann von einer Freiwilligkeit ausgehen oder ist es nicht ein indirekter Zwang?
Der Betroffene würde wahrscheinlich sagen, dass es ein indirekter Zwang sei. Ich kenne einige Sicherungsverwahrte, denen nahegelegt wurde, diese Triebdämpfung anzunehmen. Sie haben sich meistens dagegen entschieden und hoffen immer noch darauf, dass sie unter anderen Bedingungen entlassen werden können. Das ist nicht aussichtslos, aber es ist schon schwieriger. Deswegen kann ich das Argument nachvollziehen, dass es für sie einen Zwang darstellt. Andererseits gibt es auch, Täter, die sagen: „Ich möchte diese Medikamente einnehmen. Ich habe einfach zu viel Opfer produziert und möchte niemanden mehr schädigen. Ich möchte selbst auch sicher gehen, dass ich sowas nicht mehr mache, und deswegen nehme ich diese Mittel ein.“ Es ist ein schwieriges Thema, es ist sehr kontrovers. Ja, natürlich verstehe ich die Sichtweise der Untergebrachten, die solche Maßnahmen als Zwang betrachten. Aber letztlich muss man auch sagen, dass die Männer, die bei uns in der Sicherungsverwaltung in Deutschland untergebracht sind, schon oft die Gelegenheit hatten, sich zu verbessern, ihren Trieben nicht mehr nachzugehen und nicht wieder ein Kind zu missbrauchen. Doch sie haben das dann trotzdem immer wieder gemacht. Die Männer können sich entscheiden, ob sie erstmal weiter verwahrt bleiben wollen, oder ihre Sexualität aufgeben und die Mittel einnehmen.
Haben Sie jemals gedacht, dass bestimmte Täter „ihren Platz“ in der Gesellschaft gefunden haben, indem sie ihre dunklen Impulse in einem System wie dem Gefängnis ausleben, anstatt in die Freiheit entlassen zu werden? Könnte das Gefängnis für einige Täter ein besseres Leben darstellen?
Ja, das ist tatsächlich so. Gerade für Gewaltstraftäter, die ihr Leben lang unter instabilen Bedingungen, in Obdachlosigkeit oder im Drogenmilieu gelebt haben, ist die Unterbringung wahrscheinlich sogar angenehm. Der Tagesablauf ist geregelt, es gibt ein schönes Zimmer, das beheizt ist und eine regelmäßige Versorgung. Die meisten wollen das vielleicht nicht zugeben, aber sie haben diesen stabilen Tagesablauf in der Unterbringung und diese Sicherheit schon genossen.
Hatten Sie jemals den Gedanken, dass einige dieser Täter sogar eine Art „Perversion des Heldentums“ in sich tragen könnten, indem sie gesellschaftliche Tabus brechen und eine dunkle Wahrheit über die menschliche Natur offenlegen, die wir nicht sehen wollen?
Das ist eine sehr interessante Frage. Ja, dahinter verbirgt sich der Aspekt der Faszination des Bösen. Gerade wenn man im Alltagstrott steckt, sehr angepasst lebt und Verantwortung im Job und für die Familie übernimmt, reizt einen manchmal ein Leben voller Abenteuer und Risiken. Dann schaut man sich Netflix oder oder Krimis über Täter an und ist von deren Lebensstil fasziniert. Es gibt Menschen, die machen, was sie wollen. Sie richten ihr Leben nach dem aus, was ihnen gefällt. Das finden wir faszinierend, hat aber meist negative Konsequenzen. Wenn durch das Ausleben dieser Freiheit zum Beispiel die körperliche Unversehrtheit anderer Menschen verletzt wird, dann muss die Gesellschaft intervenieren. Einige Menschen haben diese Faszination für das Böse, weil es attraktiv sein kann, wenn man sich in seiner Freiheit auslebt und sich gegen alle gesellschaftlichen Konventionen richtet. Diese Vorstellung kann faszinierend wirken. Deswegen glaube ich, sehen wir uns gerne Filme über Menschen an, die Banken überfallen und mit einer großen Beute an Bargeld ein freies Leben führen. Das ist ein Traum von absoluter Freiheit.
Dr. Gilda Giebel hat an den Universitäten Erfurt und Konstanz Psychologie studiert und promoviert. Außerdem absolvierte sie eine systemische Therapieausbildung. Ihr fachlicher Schwerpunkt liegt in der forensischen Psychologie. Sie war als Psychologin in der Sicherungsverwahrung einer deutschen Justizvollzugsanstalt (JVA) tätig. Neben ihrer therapeutischen Arbeit erstellte sie dort Gefährlichkeitsprognosen über die Täter.
Man könnte die Behandlung mit den oben beschriebenen Medikamenten auch als das kleinere Übel sehen. Also nicht Zwang sondern die Wahl zwische zwei Übeln, von denen man selbst eines als das kleinere wahrnimmt.
Für mich stellen sicht trotzdem Fragen wieviel gesicherte Forschung haben wir über derartige Trieb hemmende Medikamente? Wer stellt eine regelmäßige Gesundheits Überwachung sicher? Kennen wir Neben, -und Wechsel Wirkungen? Wer kommt für die Kosten auf, muss sich dieses Medikament sowie die nötigen Ärztlichen Leistungen der Patient selbst bezahlen?
Die Sozialversicherung in Österreich tritt erst in Kraft wenn ein Patient in einem Sozialversicherungpflichtigen Arbeitsprozess inkludiert ist. Während der Haft oder Unterbringung werden wie ich gelernt habe, nur Beitrage zur Pensionsversicherung bezahlt – bedeutet keine Kranken und keine Arbeitslosen Versicherung.
Damit ist eine lückenlose Versorgung eigendlich nicht gewährleistet, denn woher soll ein Betroffener das Geld für seine Medikamente bekommen? Mindestsicherung? – da fehlt es dann beim gesunden Essen, z. b.
Also ich habe Fragen, sowie Bedenken ob eine regelmäßige Medikamenten Einnahme unter solchen Umständen gelingt.
Andererseits, ein Gefängnis ist kein Ort an dem man unter den heutigen Bedingungen gesund bleiben kann – also Ja, jeder legale Weg in die Freiheit muss immer oberstes Ziel sein.