Mahlzeiten im Gefängnis sind selten ein Thema in der öffentlichen Debatte, doch für viele Insassen ist die tägliche Verpflegung eine Frage der Würde. Insassen haben meistens wenige Programmpunkte in ihrem Alltag, ein Highlight des Tages sind daher die Mahlzeiten. Essen hinter Gittern ist oft lauwarm, ungesalzen, voller Zusatzstoffe und selten frisch.  Lucy Vincent, Journalistin und Gründerin der britischen Wohltätigkeitsorganisation Food Behind Bars, spricht davon, dass diese Umstände nicht nur zu schlechter physischer Gesundheit führen können, sondern auch psychische Auswirkungen haben. Was macht dauerhafte unausgewogene Ernährung mit unserem Selbstwertgefühl?

In Österreich werden Mahlzeiten unzeremoniell in die Zelle gestellt und neben der Toilette verzehrt. Oft werden Lebensmittel Stunden früher als die eigentliche Essenszeit geliefert, was vor allem im Sommer zu einem eher unappetitlichen Mahl führt. Die Portionen sind zu klein und erwachsene Männer gehen abends mit knurrendem Magen ins Bett. Im Strafgesetz in Paragraph 38 steht, dass Insassen „ausreichend“ und nach “ernährungswissenschaftlichen Kenntnissen” zu verpflegen seien. Das durchschnittliche Budget für Nahrung pro Insasse beläuft sich allerdings auf nur 3,45 EUR pro Tag. Halal, koscher, vegetarisch und andere Anforderungen oder Präferenzen sollten zwar laut Gesetz befolgt werden, werden aber nicht ausnahmslos umgesetzt. Die Möglichkeit sich innerhalb dieser Kategorien etwas Neues auszusuchen gibt es nicht. Insassen können sich bei Bedarf in gefängniseigenen Supermärkten mit mehr Verpflegung eindecken. Die Kosten hierfür messen sich allerdings nicht mit den angebotenen Arbeitsplätzen und dem Verdienst hinter Gittern. Gemeinsame Mahlzeiten in Kantinen gibt es nur in wenigen Anstalten, da dies logistisch vor allem bei Insassen mit strenger Sicherheitsverwahrung schwerer umzusetzen ist. Dabei sind Menschen doch soziale Wesen und Esskultur nimmt einen großen Teil unseres Alltags und unserer Freizeit ein.

Im Bericht der Zeitung Presse schneidet besonders die Justizvollzugsanstalt Stein schlecht ab, während die Justizvollzugsanstalt Asten laut den Oberösterreichischen Nachrichten mit einem erfolgreichen Küchenteam schmackhafte Kost zubereitet. Professionelle Caterer arbeiten hier zusammen mit Insassen, die selbst bereits Erfahrungen in der Industrie haben. Einsteiger sind ebenso willkommen und die neu erlernten Fähigkeiten tragen so Wertvolles zur Resozialisierung bei. Das Essen in der Anstalt Simmering wird im Standard mit Krankenhausessen verglichen, die Angestellten verteilen große Portionen. Es ist ersichtlich, dass jede Justizvollzugsanstalt ihre eigene Herangehensweise an das Thema Verpflegung hat. Das generelle Problem bleibt jedoch, Personal und Budget sind knapp. Ausreichende und genießbare Ernährung fordert also kreative Lösungen. 

Gespräch mit „Food Behind Bars“

Das britische Justizsystem hat mit ähnlichen Umständen zu kämpfen. Seit 2016 zieht Lucy Vincent mit Food Behind Bars durch die britischen Haftanstalten und teilt Stimmen der Insassen und Küchenangestellten öffentlichkeitswirksam. Da die britische Presse einen schlechten Ruf genießt, begegneten ihr die Insassen zunächst mit Skepsis. Im Interview mit Blickpunkte gibt sie an, dass sie schnell Unterstützung von Verantwortlichen im britischen Strafvollzug erhalten hat. Diese erkannten die Probleme im System bereits selbst. In ihrem Team arbeiten unter anderem professionelle Köche und Ernährungsberater zusammen mit Kriminologen und Anwälten. Das Team glaubt fest daran, dass der Weg zur Resozialisierung unter anderem durch den Magen geht.

„Unser Ziel ist es, die Gesundheit der Insassen positiv zu beeinflussen, indem wir praktische lebensmittelbasierte Ausbildung anbieten, gesunde Ernährungsgewohnheiten fördern und spannende Essens- und Trinkenskonzepte entwickeln.“(Lucy Vincent, Food Behind Bars)

Vincent erläutert, dass oft reguläre Justizbeamte ohne Catering Erfahrung in der Küche stationiert werden. Dies führt zu einer angespannten, ungemütlichen Atmosphäre, in der Angestellte wie Insassen gestresst und überfordert agieren. Vincent zeigt sich im Interview begeistert von der Organisation im HMP Brixton, einer der wegen Überfüllung berüchtigtsten Haftanstalten Englands. Das Küchenteam dort ist mit einem rigorosen Trainingsplan durchstrukturiert und kocht kreative und abwechslungsreiche Gerichte. Insassen mit einer Ausbildung aus Brixton werden in gehobenen Restaurantküchen schnellstens eingestellt.. Überall im britischen Gefängnissystem schwärmen Insassen wie Angestellte zugleich über das Menü im Brixton. Die Inspiration dafür sind vor allem die Insassen, viele bringen sich gerne ein und entwickeln Rezepte, die sie an Zuhause erinnern.  

Plätze bei den Programmen von Food Behind Bars sind begehrt und nicht alle Insassen bekommen Zugang. Insassen mit höherer Sicherheitsverwahrung, die aufgrund von mentalen Problemen eine Gefahr für sich oder andere darstellen, sind von der Teilnahme ausgeschlossen. Lucy Vincent bemüht sich dennoch, auch Zugang zu vulnerablen Insassen zu erhalten. Laut Vincent’s Erfahrung trägt gesunde Ernährung  zur Emanzipation bei, nach jahrelanger Haft und wenig Mitspracherecht entwickeln viele Gefangene ein gestörtes Verhältnis zur Ernährung. Um diesem entgegenzuwirken, ist ein menschenwürdiger und organisierter Ansatz zur Esskultur wie bei Food Behind Bars nötig.

Wie Österreich von diesem Beispiel lernen kann

Bei Food Behind Bars geht es vor allem darum, bereits gegebene Ressourcen auszunutzen; durch Instandsetzung eines verlassenen Gewächshauses werden Arbeitsplätze geschaffen und Insassen können ihre Nahrung selbst anbauen. Eine alte Bäckerei innerhalb der Gefängnismauern wird wieder instand gesetzt und nachdem die Insassen täglich frisches Brot genießen, verlassen sie die Anstalt mit einer Ausbildung im Backhandwerk.

Vincent erzählt, dass Food Behind Bars manchmal mit wenig Begeisterung empfangen wird, da das Catering Team bereits eigene Routinen hat. Am einfachsten wird es für sie, wenn ein neuer Catering Manager anfängt, der selbst Motivation und Begeisterung für nötige Veränderungen bringt. Die Begeisterung steigert sich dennoch, wenn alle dann die neuen Kreationen ausprobieren dürfen. Lucy Vincent arbeitet momentan mit ihrem Team an einer Reihe von Empfehlungen, die es Gefängnisverwaltungen und anderen Angestellten im Bereich der Ernährung im Justizsystem ermöglichen, einfach aus weniger mehr zu machen.

Food Behind Bars wird unter anderem durch Initiativen vom britischen Gesundheitsministerium gefördert, was bedeutet, dass mögliche positive Auswirkungen dokumentiert werden. Ein Insasse zum Beispiel benötigte keine Medikamente für Bluthochdruck mehr. Aufgrund der schnellen Ablösung von Insassen ist es jedoch schwer, die Langzeitauswirkungen zu untersuchen. Food Behind Bars Erfolge zeigen sich jedoch bereits in einfachen Umfragen; Angestellte verzeichneten eine höhere Berufszufriedenheit, während die Insassen das Essen deutlich genießbarer finden und sich auch durch mehr Mitspracherecht zufriedener fühlen. 

Das Problem in der Gefängnisküche liegt unter anderem an fehlenden gesetzlichen Regelungen, sagt Vincent, die Lebensmittel stammen meist nicht mal aus Großbritannien oder Europa. Dänemark hat strikte Gesetze, was die Beschaffung von Lebensmitteln für Insassen angeht. Vincent führt immer wieder die skandinavischen Länder als Paradebeispiel an, darunter auch ein Gefängnis in Finnland, in dem Insassen selbst Fische fangen oder Beeren und Pilze im anliegenden Wald sammeln. Das nächste Projekt führt Vincent in amerikanische Gefängnisse. Wer weiß, vielleicht ja als nächstes nach Österreich?

One Reply to “Essen hinter Gittern: Zwischen Sparzwang und einem gesunden Selbstwertgefühl”

  1. Ein wahrlich sehr guter Bericht der aufzeigt, es ginge auch in Sachen Ernährung besser.

    „ein gesunder Geist in einem gesunden Körper“ (röm. Dichter, Juvenal)

    Meines Wissens nach werden auch keine Daten erhoben, wie es um den Gesundheitszustand im Zusammenhang mit ausgewogener Ernährung der InsassInnen tatsächlich steht. In einigen Haftanstalten scheint die Ernährung in Ordnung, in anderen jedoch immer noch nicht. Es braucht also einen organisatorischen Standard für alle JA.

    Eine augenscheinlich durch Beschäftigte, oder durch eine inhaftierte Person selbst eingeschätzte – „es geht mir gut“ – Konstitution, reicht unter derartigen Bedingungen nicht aus.
    Es braucht valide offengelegte Labor Daten!

    Regelmäßige Blutabnahme, womit nicht nur der Test auf Drogen oder Infektionskrankheiten gemeint ist, sondern vielmehr auch auf mögliche Mangelerscheinungen, (z.B Vit. D, B – Komplex, Vit. K, u.a. ) getestet wird, muss Standard in allen JA sein.

    Man braucht nur selbst nachdenken, was es mit einem bspw. selbst macht, wenn man täglich (oft weniger) nur 1 Stunde an die Frische Luft kann?!
    Witterungsbedingt, Personal Ressourcen bedingt oder wenn InsassInnen nicht fähig sind, können auch diese Mindest Zeiten teilweise nicht eingehalten werden.

    Besonders bei Menschen deren psychische Belastung andauernd in eine Alarm Bereitschaft versetzt wird, schon alleine durch das sogenannte „Haftübel“, besonders hier ist eine ausgewogene Ernährung ein essentieller Faktor ihre Gesundheit nicht zu gefährden, sondern vielmehr zu stärken.
    Zu Bedenken ist auch,
    nachhaltig wirkt sich also eine ausgewogene Ernährung auf den Auftrag den die Justiz hat, nämlich den der Resozialisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft, positiv aus.

    Es ist in unser aller Interesse die Gesundheit von Menschen in Haft, nicht weiter zu zerstören.

    Haftübel …
    https://rdb.manz.at/document/rdb.tso.ENfabljslg20160130

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