Präzedenzfall: Ablehnung von Publikationen für Häftlinge ist nicht mit Artikel 10 der EMRK vereinbar.
Am 17. Dezember 2024 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) im Fall Necdet Vural gegen Türkei (Antrag Nr. 35555/19), dass die Ablehnung eines Häftlingsantrags auf Zugang zu Publikationen einen Verstoß gegen Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellt. Die Entscheidung unterstreicht die Bedeutung der Meinungsfreiheit, selbst unter den restriktiven Bedingungen des Strafvollzugs.
Hintergrund des Falls
Necdet Vural, ein Untersuchungshäftling, hatte beantragt, Publikationen (auf eigene Kosten oder durch seine Verwandten) im Gefängnis erhalten zu dürfen. Er begründete seinen Antrag damit, dass die Überbelegung im Gefängnis den Zugang zur Bibliothek nahezu unmöglich mache. Der Vollstreckungsrichter lehnte den Antrag jedoch ab, gestützt auf die Entscheidung des Gefängnisbildungsausschusses, der argumentierte, dass Publikationen Sicherheitsrisiken bergen könnten, etwa durch die mögliche Verwendung von Büchern zur Brandstiftung.
Auch die nachfolgenden Instanzen, einschließlich des türkischen Verfassungsgerichts, wiesen Vurals Beschwerde ab. Dies veranlasste ihn, den EGMR anzurufen.
Bewertung des EGMR
Der EGMR analysierte den Fall im Lichte von Artikel 10 der EMRK, der das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit schützt. Dabei stellte das Gericht fest:
- Zulässigkeit des Antrags:
Die Regierung argumentierte, Vural habe innerstaatliche Rechtsmittel nicht ausgeschöpft, etwa durch eine Beschwerde bei der Gefängnisverwaltung. Der EGMR wies dieses Argument zurück, da der Fall bereits vor nationalen Gerichten in der Sache geprüft worden war. Auch der Einwand, Vural habe seinen Opferstatus verloren, wurde abgelehnt. Der Gerichtshof befand, dass die generelle Aussetzung der Lieferung von Publikationen ihn unmittelbar betraf. - Begründung:
Der EGMR kritisierte die türkischen Gerichte dafür, keine angemessene Abwägung zwischen Vurals Recht auf Meinungsfreiheit und den behaupteten Sicherheitsbedenken vorgenommen zu haben. Die Gerichte hatten weder die persönliche Situation des Antragstellers noch die tatsächlichen Risiken der Zustellung von Publikationen ausreichend untersucht. Der Gerichtshof betonte, dass Einschränkungen der Meinungsfreiheit im Gefängnis stets verhältnismäßig sein und einer strikten Prüfung standhalten müssen.
Die Folgen der Entscheidung
Mit dem Urteil bestätigte der EGMR, dass selbst in Haft Meinungsfreiheit und Informationszugang essenzielle Rechte bleiben. Gefängnisverwaltungen dürfen solche Rechte nicht pauschal einschränken, ohne individuelle Risiken zu bewerten.
Der Fall Necdet Vural gegen Türkei stellt einen wichtigen Präzedenzfall dar, der die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Wahrung der Menschenrechte auch im Strafvollzug bekräftigt. Für die Türkei bedeutet das Urteil eine notwendige Änderung ihrer Vollzugspraxis, insbesondere im Umgang mit dem Zugang zu Bildung und Information.
Ich werde das Gefühl nicht los das es in den Gefängnissen allgemein eine große Scheu, vielleicht sogar Angst, vor Bildung gibt. Während InsassInnen gerne Neues (dazu) lernen würden, auch in Hinblick des gesetzlichen Auftrages der Resozialisierung und Wiedereingliederung in die Gesellschaft, so scheint es als gebe es in der Justiz nur träge Verweigerung, anstatt ein klares JA zur Bildung und Weiterentwicklung.
Alleine die fehlende digitale Infrastruktur, wirft InsassInnen um Jahre zurück.
Sieht man über den Teller Rand hinaus ins Ausland, so gibt es durchaus sehr gute Erfahrungen aus Gefängnissen welche den Zugang zur digitalen Kommunikation und Bildung bereits implementiert haben. In Österreich aber wundern sich Verantwortliche immer noch über „Handy Schmuggel“, oder Papier das mit irgendwelche Substanzen versetzt ist.
Es fällt den akademisch ausgebildeten Verantwortlichen nichts besseres ein, als dafür wieder weitere Strafen zu verhängen. Diese Verweigerungshaltung innerhalb der Justiz hat nichts, aber auch gar nichts mit Sicherheit zu tun, eher wohl mit Vorschubleistung einer Verwahrlosung.
Ich bin der Meinung, eine bestmögliche Sicherheit in Gefängnissen kann nur durch Menschenrechts konforme Bedingungen welche auch an den heutigen Arbeitsmarkt angepasste moderne Lernmethoden beinhalten, hergestellt werden. Selbstverständlich gehören dazu auch noch Magazine und andere Print Medien.
Bin überzeugt, vor gut ausgebildeten InsassInnen welche sich selbst motiviert weiterbilden, und informieren, dadurch eine positive Wende in ihrer Entwicklung einleiten, braucht sich niemand zu fürchten. Erst wenn diese Werte Haltung in der Justiz angekommen ist, erst dann entsteht eine Win Win Situation für die Gesellschaft.