Ein Bericht von Tudorel Petcu (derzeit in Haft in Arad, Rumänien)
Aus dem Rumänischen übersetzt von Christine Hubka.

Fünf Tage vor dem zweiten Geburtstag meiner Tochter kam ich in Haft. Sie war zu klein um gleich zu verstehen, was es bedeutet, dass ihr Papa nun nicht mehr bei ihr sein konnte. Aber mit der Zeit ist ihr der Papa abgegangen.

Mit ungefähr vier Jahren hat sie begonnen zu fragen, wo der Papa denn ist. Mit sechs Jahren hat sie gefragt, warum sie mit dem Papa nicht reden kann. Während dieser ganzen Zeit war ich mit ihrer Mutter in Kontakt. Ich war also über alles, was meine Tochter betraf, gut informiert. Nachdem ich rechtskräftig verurteilt war, durfte ich mit meiner im Ausland lebenden Tochter Online-Besuche über Skype haben. Einmal pro Woch konnten wir 40 Minuten miteinander kommunizieren.

Alles war wunderbar … bis sie begann, mich bei unseren online Besuchen zu fragen, warum ich nicht nach Hause komme. Weil sie hätte Sehnsucht nach mir. Sie war noch zu jung als dass ich ihr gesagt hätte, dass ihr Papa etwas Böses gemacht hat und deshalb im Gefängnis ist. Und so habe ich ihr erzählt, dass ich im Ausland arbeite und es noch dauern würde, bis ich nach Hause komme.

Aber das hat nicht viel geholfen. Sie hat immer wieder gefragt: „Wann kommst du nach Hause? Wie lang musst du noch arbeiten?“ Ich musste ihr sagen, dass der Papa noch viel Arbeit hat, um viel Geld zu verdienen, damit die Mama für sie alles Nötige kaufen kann. Aber diese Antwort hat sie nicht befriedigt.

Bei unserem nächsten Online-Besuch hat sie wieder gefragt: „Wann kommst du nach Hause?“ Ich habe also wieder gesagt: „Der Papa muss viel Geld verdienen. Dann komme ich nach Hause.“ Nach einem Moment hat mir meine Tochter geantwortet: „Papa, ich glaube, du liebst das Geld mehr als mich.“ Mir fehlten die Worte. Ich wollte weinen, hab die Tränen unterdrückt, damit sie nicht sieht, dass ich weine. Ich habe sicher eine Minute geschwiegen, dann hab ich begonnen, ihr zu erklären, dass ich nichts auf der Welt so liebe wie sie.

Die Zeit unseres Online-Besuchs lief ab, und mir war nicht klar, ob sie verstanden hat, dass sie für mich alles ist. Zwischen den Online Besuchen telefonierten wir. Täglich zwischen 14 Uhr und 14.30. Bis 14 Uhr arbeitete ich. Um 14.30 werden die Haftraumtüren verschlossen. Darum kann ich immer nur in diesem Zeitraum anrufen. Warum ich immer um diese Zeit anrufe, fragte mich meine Tochter. „Papi, warum rufst du mich nicht am Abend an und sagst mir gute Nacht?“ Wieder war ich sprachlos. Ich konnte ihr doch nicht die Wahrheit sagen, aus Angst, dass sie mir böse sein werde. Ich antwortete ihr: „Ich arbeite oben am Berg. Dort gibt es keine Verbindung. Ich fahre täglich um diese Zeit in die Stadt hinunter, darum kann ich nur zu dieser Zeit telefonieren.

Ich habe Ärger oder Kummer gehört in ihrer Stimme bei ihren nächsten Worten. Ich bin mir so gemein vorgekommen, weil ich mein Kind nun schon wieder belogen habe. Bei unserem nächsten Online-Besuche sagte mir meine Tochter: „Papi, ich glaube, dass du ein anderes Kind hast, das du liebst. Denn mich liebst du nicht mehr.“ Mir kamen die Tränen. Aber ich habe sie zurückgehalten  bis der Online Besuch beendet war. Für mich wurde die Welt dunkel. Ich wollte nicht mehr leben. Es folgte ein Zeit, in der sowohl ich als auch ihre Mutter sie wissen ließen, dass ich sie liebe und es kein anderes Kind gibt außer ihr.

Fotos: Adobe Stock

Als meine Tochter neun Jahre alt war, beschloss ich, dass ich ihr nun die Wahrheit sagen müsse. Ich sagte ihrer Mutter, dass sie nun groß genug sei um alles zu verstehen, was ich ihr sagen wolle. Ich sagte ihr, dass der Papa etwas Böses gemacht hat. Ich sagte ihr, dass der Papa deshalb für eine Zeit im Gefängnis sein müsse. Danach wollte sie zwei Wochen nicht mit mir sprechen. Sie blieb in ihrem Zimmer und weinte immer wieder. Nach zwei Wochen sagte sie ihrer Mutter, dass sie mit mir reden wolle. Also telefonierte ich mit meiner Tochter.

Das erste, was sie mir sagte war: „Papi, du sollst wissen, dass ich nicht böse bin auf dich. Und du sollst wissen, dass ich ein bisschen Geld in meinem Sparschwein habe. Das will ich dir schicken, damit du dir Wasser und Brot kaufen kannst.“ Von Emotionen überwältigt und mit Tränen in den Augen, begann ich wieder mit ihr zu reden. Bis heute ohne sie anzulügen.

Nach alledem bin ich tatsächlich überzeugt, dass ich alles viel schlimmer gemacht habe, indem ich ihr nicht die Wahrheit gesagt habe.


Kinder und die Welt des GefängnissesEin Ratgeber für Eltern

Gekürzter Auszug aus dem Anhang zum Buch „Ich reite den Drachen“. (Geschichte von Christine Hubka. Anhang von Matthias Geist.)

Wie begleite ich ein Kind, wenn jemand in das Gefängnis kommt?
Der Gefängnisaufenthalt eines nahe stehenden Menschen bedeutet für Sie, vor allem für jedes betroffene Kind möglicherweise eine große Umstellung. Dieses Buch will Kindern helfen, sich vor, während oder nach der Haft zu orientieren. Auf sehr unterschiedliche Weise stellen sich Fragen, die sich für Kinder ergeben und die altersgemäß beantwortet werden sollten. Dazu bieten wir im Folgenden einige Hilfestellungen.

Was kann ich selber in die Hand nehmen?
Ich darf auf mich selber achten! Ich darf und werde meine eigenen Bedürfnisse und Gefühle wahrnehmen und benennen. Dazu zählen möglicherweise die Scham, der Schmerz, die Trauer, die Wut und andere Gefühle, die sich immer wieder verändern und abwechselnd stark auftreten können. Ich darf und mir Ansprechpartner/innen suchen, die mich verstehen und Zeit für mich haben. Dazu können Sie aus Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis Menschen wählen, aber auch andere kompetente Stellen und Personen suchen – in jeder Justizanstalt sind Sozialarbeiter/innen, Psycholog/innen und Seelsorger/innen tätig. Ich darf und werde mir Zeit lassen, nur wenige Entscheidungen sind sofort zu treffen.

Wie geht es dem Kind oder den Kindern?
Ich werde auf die Bedürfnisse des Kindes achten und eingehen!
Jedes Kind ist einzigartig und hat seine eigenen Wahrnehmungen und Gefühle. Manchmal äußert sich ein Kind ganz offensichtlich, manchmal versteckt und manchmal gar nicht, wie es mit der Situation der Haft umgeht.

  • mit der ungewohnten und harten räumlichen Trennung,
  • mit dem erschwerten Kontakt – denn Besuche, Briefe, Telefonate sind nicht uneingeschränkt möglich,
  • mit der am Beginn (noch) nicht abschätzbaren Dauer der Haft, usw.

Bedenken Sie bitte auch: In manchen Situationen braucht ein Kind auch einen anderen Ansprechpartner als Sie! Denn Sie sind selber betroffen und das Kind empfindet auch mit Ihnen mit.

Wie gelingt es mir und dem Kind, die Haft eines Angehörigen zu ertragen?
Sie können getrost mit einem Kind darüber sprechen, was es sich gerade denkt und fühlt und wünscht. Später wird es dankbar sein! Es wird hingegen verletzt sein, wenn sich Lügen als solche herausstellen und das Vertrauen bricht. Auch Einsichten, die erst Jahre später erkannt werden, führen zu Misstrauen und ungeahnten Konflikten.
Holen Sie Informationen über die konkreten Bedingungen der Haft und der Kontaktmöglichkeiten ein und erzählen Sie dem Kind davon.

  • Post: Sprechen Sie offen über die sicherste Möglichkeit in Kontakt mit dem/r Gefangenen zu kommen. Kinder werden Gefallen daran finden, Briefe zu schreiben, eventuell etwas zu zeichnen oder malen, auch wenn dies Zeit und Geduld erfordert.
  • Besuch: Bieten Sie dem Kind an, in das Gefängnis mitzukommen, wenn dies für Sie und das Kind bereits erlaubt ist.
    • Suchen Sie geeignete Möglichkeiten, mit dem Kind den/die Gefangene/n zu besuchen (besonders dann, wenn es den Wunsch nennt).
    • Bereiten Sie das Kind auf die Situationen vor (Eingang, Besucherzone, Anmelden, Sicherheitsvorkehrungen und Leibesvisitation, Bewachung, Abgabe aller Gegenstände, Glasscheibe/Telefonhörer oder Tischbesuch, wenn dieser bewilligt ist). Wenn einige Zeit verstrichen ist, kann auch ein „Sozialbesuch“ beantragt werden (im Beisein einer/s Sozialarbeiters/in z.B.).
    • Ermutigen Sie das Kind, auch beim Besuch auszudrücken, was es empfindet.
    • Schützen Sie Ihr Kind im Vorhinein vor Unannehmlichkeiten – es kann sein, dass Sie merken, dass kein ungestörter Besuch möglich ist.
    • Sprechen Sie mit Direktion oder Klassenlehrer (Schule) oder Kindergartenleitung über die Sache im Vertrauen und bitten Sie um Diskretion.
    • Kinder können auch in Gruppen (vor Angriffen oder Hänseleien) besser geschützt werden, wenn dies verantwortliche Personen wissen.
    • Bitten Sie im Schulbetrieb (ebenso wie im eigenen Beruf) allenfalls um Ausnahmemöglichkeiten, Besuche zu planen.
  • Telefon: Bereiten Sie das Kind auf die mögliche Kürze oder den Abbruch des Gesprächs vor. Wenn Sie angerufen werden, lassen Sie das Kind mithören, wenn dies passt oder selber sprechen.

Fragen des Kindes
Schenken Sie dem Kind Nähe, Geborgenheit und Echtheit, wo immer Sie es zeigen können, damit es auch schwierige Zeiten ertragen wird. Es gibt keinen schlechten Einfluss des Gefängnisses oder des/r Gefangenen auf Kinder!

  • Verschlossenheit:
    • Schenken Sie Ihrem Kind Zeit und Menschen, zu denen ein echtes Vertrauensverhältnis besteht oder aufgebaut werden kann.
    • Ermutigen Sie das Kind, sich über sportliche Aktivitäten, Lieder und Musik, Bilder oder einfaches Spiel auszudrücken.
    • Mit einem Lieblingskuscheltier, einem Buch, einem Symbol aus der Natur oder auch einem Ort, den das Kind gerne aufsucht wird es gelingen, auch dann „zu sich“ zu finden bzw. „bei sich sein“ zu können, wenn es am schwersten ist.
    • Machen Sie sich gemeinsam auf die Suche, nach dem, was dem Kind hilft.
    • Wenn es nicht ohnedies ein Abendritual gibt, führen Sie ein solches ein (es kann auch ein Abendgebet überlegt werden, siehe unten). Dies gibt Sicherheit.
  • Schuldgefühle:
    • Schenken Sie dem Kind Nähe und Geborgenheit und das Vertrauen, dass es nichts falsch gemacht hat. Zeigen und sagen Sie dem Kind, dass der/die Gefangene etwas falsch gemacht hat/haben könnte und Nicht das Kind.
    • Lassen Sie dem Kind je nach Art der Haft auch wissen, was gerade geschieht: Welche Entscheidungen werden gefällt? Wo befindet sich der/die Gefangene? Was isst er/sie? Etc.
  • Konfliktbewältigung:
    • Helfen Sie dem Kind, allfällige Angriffe von Erwachsenen und Kindern abzuwehren
    • Üben Sie mit dem Kind auch Formulierungen ein, die es benutzen darf, damit es innerlich stark ist/wird (z.B. „Mein Papa hat schon einen Fehler gemacht, aber er bleibt mein Papa (evtl.: und ich habe ihn lieb und ich weiß, dass er mich lieb hat!“)

One Reply to “Soll ich meiner Tochter sagen, dass ich in Haft bin?”

  1. Eine sehr berührende Geschichte. Es gilt oft die Annahme Väter leiden nicht, das können nur die Mütter. Es stimmt nicht – Väter leiden nur anders.

    Besonders problematisch finde ich auch die häufigen Fälle, wo Kindern und Vätern durch sogenannte ExpertInnen der Kontakt verboten wird – als Begründung wird häufig das Kindeswohl vorgeschoben, ohne tiefgreifende Aufarbeitung.
    Natürlich, ist das Kindeswohl sehr wichtig und hat oberste Priorität doch Kinder haben auch Rechte. Wenn also ein Kind sagt es möchte seinen Vater sehen, oder anders in Kontakt treten, dann muss das akzeptiert werden von 3er Stelle, es muss somit die Möglichkeit der Kontaktaufnahme geschaffen werden.

    Anders schafft man nur noch mehr Leid, das darf ja nicht Ziel sein.

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