Die ältere Generation unter uns wird sich noch erinnern können: „Ledige Mutter“ zu sein – wie Alleinerziehende früher im Volksmund genannt wurden – war für die Betroffene ein gesellschaftlicher Makel: Das Familienbild war traditionell auf die Vater – Mutter – Kind – Struktur fokussiert, oder umgekehrt: alles was außerhalb dieses Schemas existierte, wurde in den meisten Fällen von der Gesellschaft geächtet, in den schlimmsten Fällen wurden Alleinerzieherinnnen an den „Rand der Gesellschaft“ geschoben.
Mehr als ein Achselzucken Außenstehender und dem Hinweis „selber schuld“ war lange Zeit kaum vorhanden. Sobald eine Frau bewusst allein lebend ein Kind zur Welt brachte und aufzog, musste sie nicht nur damit rechnen diskriminiert zu werden. Oft genug führte es zum Ausschluss aus dem sozialen Umfeld, manchmal sogar aus dem familiären Netz. Für viele ledige Mütter hieß es den sozialen Anschluss zu verlieren und gezwungenermaßen auf sich allein gestellt zu sein.
Das klingt heute haarsträubend, tatsächlich geht diese Einstellung nicht zuletzt auf die Gesetzgebung im 19. Jahrhundert zurück: Das „Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch von 1811“ hatte mit der Festschreibung des Ehemanns als Oberhaupt der Familie die Familienhierarchie untermauert. Die Ehefrau wurde zum Gehorsam verpflichtet. Die Tatsache ein Mann zu sein genügte, um alle Entscheidungskompetenzen innerhalb der Familie allein inne zu haben. Das ging so weit, dass er seiner Gattin eine Erwerbstätigkeit gestatten oder untersagen konnte. Andere Familienformen waren per Gesetz nicht vorgesehen. Gleichzeitig wusste man selbstverständlich von unehelichen Kindern, und auch von den Müttern, die Schwierigkeiten hatten ihre Familie zu erhalten. Für sie war es meist besonders schwierig eine Erwerbsarbeit zu finden, die genug einbrachte um die Familie erhalten zu können. Durch diese gesellschaftliche Ächtung waren aber auch die Kinder betroffen: Eine gute Schulbildung wie z.B. der Besuch einer Höheren Schule kam für sie kaum in Frage, es bestanden nur geringe Chancen auf gute Ausbildung und in der Folge auch einen gut bezahlten Beruf zu erlernen.
Vorbehalte gegenüber „ledigen Müttern“ gab es aber bis weit ins 20. Jahrhundert. Aus der Erzählung einer Betroffenen in den 1980er Jahren: „Das Schlimmste für mich war die Reaktion meines Vaters, als ich ihm meine Schwangerschaft mitteilte. Er war streng katholisch und sah diese Tatsache nur als Schande für ihn selbst. Sein Unverständnis für meine Situation kränkte mich sehr. … Ich habe es aber schließlich geschafft und konnte meine Berufsausbildung abschließen und mich und mein Kind allein erhalten. Leicht war es allerdings nicht. …. Ein paar Jahre später suchte ich eine Wohnung möglichst in der Nähe meines Arbeitsorts. Nach langem Suchen blieb mir bald keine andere Wahl und ich bezog schließlich eine Wohnung. Schon sehr bald nach dem Einzug machte mir jedoch der Hausbesitzer eindeutige Avancen. Nach meiner klaren Abweisung verpflichtete er mich unbezahlt die Putzarbeit für das ganze Haus zu übernehmen – es blieb mir nichts anderes übrig, bis ich endlich nach ein paar Jahren in eine Gemeinde-Wohnung einziehen konnte. …
Juristisch gesehen begannen Verbesserungen im Familienrecht erst in den 1970er Jahren: Die Familienrechtsreform entstand unter Justizminister Christian Broda, bedeutend war für die Fortschritte besonders Johanna Dohnal – später erste Frauenstaatssekretärin und Frauenministerin i.Ö. Es lohnt sich Titel und Zeitpunkt der Gesetzesnovellen zu verfolgen:
- Bundesgesetz über die Neuordnung der Rechtsstellung des unehelichen Kindes (BGBl 342/1970) bewirkte das Unterhalts- und Erbrecht gegenüber dem außerehelichen Vater …
- Bundesgesetz über die Neuordnung der persönlichen Rechtswirkungen der Ehe (BGBl 412/1975) wurde die Partnerschaft in der Ehe verankert, die Stellung des Ehemanns als Oberhaupt der Familie abgeschafft und die Gleichberechtigung der Frau in der ehelichen Gemeinschaft statuiert. …
- Unterhaltsvorschussgesetz 1976 (BGBl 250/1976) sah die Gewährung von Vorschüssen auf den Unterhalt für unterhaltsberechtigte minderjährige Kinder vor, …
- Mit der Neuordnung des Kindschaftsrechts (BGBl 403/1977) wurde die „väterliche Gewalt“ über die Kinder beseitigt. Vater und Mutter wurden nun gleiche Rechte und Pflichten gegenüber den Kindern eingeräumt.
Aus heutiger Sicht liegt diese Zeit nicht nur gesellschaftspolitisch gesehen lange zurück, viel wurde auch im Lauf der letzten Jahrzehnte im Familienrecht verbessert oder nachgeschärft. Und trotzdem gibt es immer noch Unterschiede und Benachteiligungen für Alleinerziehende-Familien. Ihre Anzahl ist im Lauf der letzten Jahrzehnte ständig gewachsen:
Etwa ein Fünftel aller Familien mit Kindern ist eine Ein-Eltern-Familie. Insgesamt gab es 2023 2,5 Mio. Familien in Österreich, davon 1,4 Mio. mit Kindern – so die Meldung von Statistik Austria im März 2024: [1] Von den 2 510 000 Familien in Österreich waren im vorletzten Jahr
2 208 000 bzw. 88,0 % Paarfamilien. Darunter gab es 1 766 000 Ehepaare (70,4 %) und 441 000 Lebensgemeinschaften (17,6 %). In 302 000 Familien (12,0 %) gab es einen alleinerziehenden Elternteil. Dabei handelte es sich zum überwiegenden Teil um alleinerziehende Mütter (10,0 % aller Familien). Alleinerziehende Väter gab es deutlich seltener (2,0 % ).
Soweit die nüchterne Darstellung statistischer Erhebungen.
Wie sieht die Perspektive betroffener Kinder heute aus? Ich lasse dazu drei Erwachsene kurz Erinnerungen aus ihrer Kindheit erzählen:
JZ: Meine Mutter war noch sehr jung, als ich auf die Welt kam. Da sie noch studierte, als ich auf die Welt kam, nahm sie mich als Kleinkind auch mit auf die Uni. Unsere Wohnung war sehr klein und in schlechtem Zustand. Ich kann mich dunkel an Konflikte erinnern, die sich um Geld drehten: Offenbar gab es nie genug Geld, auch durch die Tatsache, dass mein Vater nie regulär gearbeitet hat. Er hat sich übrigens regelmäßig um mich gekümmert und betreute mich als Kindergartenkind zwei Mal pro Woche und ab der Schulzeit verbrachte ich regelmäßig jedes Wochenende bei ihm. Das hat bis heute eine gute Bindung ermöglicht. – Unsere Wohnverhältnisse ließen es nicht zu, andere Kinder einzuladen, also Geburtstagseinladungen oder ähnliche Feste waren einfach nie vorgesehen. Es war mir aber oft auch zu peinlich andere Kinder einzuladen. Später machte ich aus der Not eine Tugend und sagte, die Wohnung wäre eben gemütlich! Meine Mutter stellte es mir frei an Freizeitangeboten wie Sport etc. teilzunehmen, organisieren musste ich mir aber alles selber. Das ist für ein Kind natürlich eine Herausforderung, gezwungenermaßen wurde ich dadurch aber relativ früh selbständig. – Eine wichtige Bezugsperson war immer meine Oma, die allerdings in Salzburg wohnt, wo ich die Ferien verbringen konnte. Sehr positiv sehe ich heute, dass es meine Eltern, trotz Differenzen, immer wieder geschafft haben, ihre Unstimmigkeiten beiseitezuschieben und dass auch gemeinsame Feste etc. möglich waren.
TE:Ich kann mich nicht erinnern, wann es mir wirklich bewusst wurde, dass ich Sohn einer Alleinerzieherin bin und dass andere Kinder vielleicht anders aufwachsen. Sehr gut weiß ich aber noch, dass es mir irgendwann im Zusammenhang mit der Erkenntnis, dass das Leben endlich ist, aufgefallen ist, dass ich nur einen Elternteil habe. Das hat in erster Linie bewirkt dass mir die Bedeutung eine Mutter zu haben wichtig wurde, vielleicht auch meine Bindung verstärkt hat. In meiner Schulzeit hatte ich immer einen kleinen Freundeskreis, der lange hielt. Diskriminierungen in dem Sinn von „anders sein“ habe ich nicht in Erinnerung.
CF: Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als es noch keine Ganztagsbetreuungen für Kinder gab. Da meine Mutter verwitwet war, kam ich schon mit zwei Jahren in den Kindergarten. In den Erinnerungen daran sehe ich mich oft als eine der ersten, die gebracht, und als eine der letzten, die abgeholt wurde. Was ich mitbekam war hauptsächlich der Stress meiner Mutter, ihre Probleme Zeit und Organisation zusammen zu bringen. Manchmal holten mich (abwechselnd) die beiden Omas ab, das weiß ich noch. In der Schulzeit war meine Sonderstellung die Tatsache dass ich mit meiner Mutter alleine lebte. Die meisten Kinder hatten eines oder mehrere Geschwister, und es gab auch Trennungen und/ oder neue Partner*innen in den Familien, bei mir nie. Später kam ich in eine Ganztagsschule, wo alle Mütter berufstätig waren, das hat mich also kaum von den Mitschüler*innen unterschieden. Ganz etwas anders war allerdings die Tatsache dass ich in unserer Wohnung ein großes Zimmer für mich allein hatte, meine Schulkolleg*innen mussten meist ihr Zimmer – und wahrscheinlich auch vieles andere teilen – ich nicht. Aber dafür war mir halt mehr fad …
Und die Eltern?
Auch wenn es in den letzten Jahrzehnten grundsätzlich in Richtung der Gleichstellung von allen Familienformen gekommen ist, die Konsequenz aus der Tatsache ein Kind ohne Partner/in alleine groß ziehen (zu müssen) ist nach wie vor für die Betroffenen keine einfache Sache. Die primären Sorgen der Eltern drehen sich um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Im Lauf der Zeit wurden Lebenserhaltungs-, Wohn- und Energiekosten in den letzten Jahren immer teurer. Dadurch ist die Erhaltung einer Familie durch eine Person alleine kaum zu schaffen. Bei Vollzeitbeschäftigungen stellt sich sofort die Frage der Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Es gibt nämlich immer noch Kindergärten, deren Betreuungszeit zu Mittag endet – wenn auch meist nur im ländlichen Raum. Solche Situationen erlauben Eineltern keinen Vollzeitberuf, also auch keine gute Entlohnung, eher noch geringfügige Beschäftigungen mit geringem Einkommen. Spätestens seit der Pandemie ist auch offensichtlich: das Homeoffice kann kein Ausweg sein. Neben geringen Einnahmen bedeutet dies nur noch einmal mehr Stress für die ganze Familie. Eine der wichtigsten Forderungen der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende (ÖPA) bezieht sich daher auf den Bereich adäquater Kinder-Betreuung – in allen Orten und im ganzen österreichischen Bundesgebiet: Kosten für Kinderbetreuungseinrichtungen sollen zum größten Teil von der Öffentlichen Hand getragen werden, im ganzen Bundesbereich. Eine Nebenbemerkung: Uns erscheint in diesem Zusammenhang der Föderalismus eine äußerst ungeeignete Form um soziale Bedürfnisse im ganzen Bundesgebiet zu regeln.
Alle Eltern sind auf finanzielle Absicherung ihrer Haushaltskosten, also für Wohnen, Energiekosten, gesunde Ernährung, u.s.w. angewiesen.
Alleinerziehende sind in dieser Hinsicht schnell mehrfach benachteiligt. Studien zu Kinderarmut brachten deutlich zum Ausdruck, dass Alleinerziehende-Familien viel rascher an die Armutsgrenze kommen als Paarfamilien. Die Existenzsicherung von Alleinerziehenden und ihren Kindern ist angesichts einer Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung von 53% der Alleinerzieher/innen eine der wichtigsten Forderungen der ÖPA.
Besonders relevant ist dabei aus Sicht der ÖPA ein bevorschusster, sofort verfügbarer Kindesunterhalt, ein Unterhaltsvorschuss bis 24 Jahre sowie eine Unterhaltssicherung für jene, die zu wenig oder keinen Unterhalt erhalten. Außerdem ist die Harmonisierung der Familien- und Transferleistungen bei geteilter elterlicher Betreuung notwendig.
Für den Notfall gibt es zwar Hilfen, auch speziell für Alleinerziehende, zum Beispiel den Alleinerzieher*innenabsetzbetrag oder den Alleinerzieher*innenbonus bei der Sozialhilfe. Aber der bürokratische Aufwand ist nicht zu übersehen und oft stoßen Betroffene mit migrantischem Hintergrund an ihre Grenzen die Antrags-Hürden zu meistern. Die Österreichische Plattform für Alleinerziehende hat daher auf ihrer Website das Tool https://oepa.or.at/kompass/ eingerichtet, das Betroffenen helfen kann zumindest Kontakt zu möglichen Antragsstellen zu finden.
Aktuell richten sich unsere größten Sorgen auf die Zukunft der österreichischen Sozialpolitik und der konkreten Ausgestaltung durch die neue Regierung. Als Abschluss daher ein Ausschnitt unserer wichtigsten Anliegen:
Sozialstaatliche Sicherung schützt Alleinerziehende wesentlich vor Armutsgefährdung. Sie ist mitverantwortlich dafür, dass Familien und vor allem Kinder gleichwertige Chancen in ihrem Heranwachsen bekommen.
- Dringende Umsetzung der Unterhaltssicherung laut vorliegendem Gesetzesentwurf
- Mutter-Kind-Kuren: Ausbau für ganz Österreich zur emotionalen und gesundheitlichen Entlastung von Müttern. Auf bestehende Konzepte zurückgreifen
- Berücksichtigung und Anerkennung geringfügiger Einkommen als wichtigen Teil der Existenzsicherung von Alleinerziehenden
- Ausbau von Dienstleistungen für Kinder im schulischen Bereich, gleichwertiger Zugang zum Bildungssystem
- Zugänge zu Familienleistungen schnell und unbürokratisch gestalten
- Ausbau des Familienbonus: Alle Kinder in Österreich erhalten den Familienbonus in voller Höhe – unabhängig von der Familienform und des Einkommens der Eltern
- Leistbares Wohnen: Die ausreichende Berücksichtigung der Familienform Alleinerziehend in kommunalen Wohnbauten und der Wohnbeihilfen muss gewährleistet sein.
Eine kluge und ausgewogene Sozialhilfe/Mindestsicherung federt Kinderarmut ab und erhöht die Selbstwirksamkeit bei Alleinerziehenden.
- Erhöhung der Ausgleichszulage auf existenzsicherndes Niveau
- Alleinerzieher*innenstatus darf nicht wegfallen, wenn ein Kind großjährig wird,
- solange dieses Kind noch Familienbeihilfe bezieht und/oder
- noch weitere minderjährige Kinder im selben Haushalt leben
- Die Ausgestaltung der Sozialhilfe- und Mindestsicherung muss den Einstieg in das Erwerbsleben ermöglichen, ohne dass die Kosten für Kinderbetreuung und Lebenserhaltung überdimensional steigen
- Existenzsichernde Familienförderungen wie Kindermehrbetrag müssen auch in der Sozialhilfe ohne Abzug zur Verfügung stehen
Die Autorin
Evelyn Martin, Vorsitzende der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende (ÖPA) ist pensionierte Evangelische Religionslehrerin, viele Jahre Mitglied im Leitungsteam der Evang. Frauenarbeit (=Gründungsmitglied der ÖPA!), seit 2014 im ÖPA-Vorstand, vertritt die ÖPA im Europäischen Alleinerziehenden-Netzwerk ENOS.
[1] https://www.statistik.at/fileadmin/announcement/2024/03/20240319FamilienHaushalteLebensformen2023.pdf