Was alles passieren musste, damit Betrüger un Betrogene aufeinander treffen.

Die Vorgeschichte

Nach einem Kurzurlaub im Waldviertel saß ich endlich aufatmend im Zug in Richtung Wien. Wegen Bauarbeiten gab es auf einem Teil der Strecke Schienenersatzverkehr mit Bussen. Soweit so gut. Aber an einem Samstag fuhren diese nicht die unter der Woche übliche Strecke. Was erhebliche Umstände verursacht.

Ich packte mein Buch aus und begann zu lesen. Einen spannenden Krimi. Nicht ahnend, dass ich selbst an diesem Tag noch einen Kurzkrimi erleben sollte.

Zwischen Tulln und Heiligenstadt sauste der Zug ohne in einer weiteren Station Halt zu machen durch. Ich hatte mit einem Zwischenstop in Klosterneuburg gerechnet und war völlig überrumpelt, als der Zug in Heiligenstadt einfuhr.

Ein folgenreicher Fehler

Ich sprang auf, packte meinen Rucksack, den Papiersack mit dem Blumenstock, meine Jacke und das Buch und sprang gerade noch aus dem Waggon. Die Türen schlossen sich. Der Zug fuhr ab. Mit ihm meine Reisetasche.

Zu Hause rief ich das Formular der „Lost and Found“ Seite der ÖBB auf. Da soll man unter anderem eintragen, was sich in dem Gepäckstück befindet. So kann zweifelsfrei bewiesen werden, dass es mir gehört, wenn ich es dereinst abhole.

Da erst fiel mir ein, dass sich in der Reisetasche ein Medikament befindet, das ich unbedingt jeden Abend nehmen muss. Inzwischen war es 19 Uhr.

Ich suchte also eine Apotheke heraus, die halbwegs in der Nähe liegt. Stieg in die Straßenbahn und fuhr hin. Das Medikament war lagernd. Ich war erleichtert. Frohen Mutes fuhr ich mit der Straßenbahn wieder nach Hause.

Die Begegnung mit dem Betrüger

Um auf meine Stiege in der Hausanlage zu kommen, muss ich durch den Innenhof gehen. Man kann ohne weiteres vom Hausflur durch eine Türe hinein gehen. Wer sich jedoch im Innenhof befindet, kommt nicht ohne Schlüssel wieder heraus. Man muss entweder bei einem Mieter anläuten und bitten, dass er die Türe öffnet, oder man muss warten, bis jemand den Innenhof von außen betritt.

So jemand stand im Hof, mit leicht tränenden Augen. Ich hatte auch den Eindruck, dass dieser Jemand schon einige Bier intus hatte. Ich machte die Türe auf, betrat den Innenhof. Der Jemand zeigte sich erfreut und sagte: Ich warte jetzt schon so lang hier heraußen. Ich wohne auf der anderen Stiege, Tür Nummer sieben. Hab mich in meinem Dussel ausgesperrt. Der Schlüssel ist drinnen. Und ich hab kein Geld für den Schlüsseldienst dabei.

Inzwischen war es 20 Uhr vorbei und schon sehr dämmrig. In unserem Wohnblock mit drei Stiegen herrscht ein guter Geist. Man feiert im Sommer ein Gartenfest. Man grüßt einander, wenn man sich begegnet. Man hält einander die Türe auf. Die meisten Mieter habe ich schon mal gesehen. Aber natürlich gibt es immer wieder auch neue, weil andere ausziehen oder sterben.

Als mich der Mann fragte, ob ich ihm 70 Euro borgen könne für den Schlüsseldienst, hielt ich ihn für einen gestrandeten Nachbarn. Er versprach, das Geld sofort zu mir zu bringen, wenn er seine Wohnung wieder betreten könne. Es werde wohl noch vor 21 Uhr sein. Ich hatte gerade so viel Geld bei mir und überreichte es ihm.

Keine kritischen Fragen von meiner Seite

Warum mir all die nötigen Fragen nicht einfielen, kann ich nicht sagen. Sonst bin ich ein eher kritischer Geist. Und mir hätte schon einfallen können, warum er sich ohne Schlüssel in den Innenhof begeben hat, wo er doch genau wusste, dass er dort nicht mehr heraus kommen würde. Mir hätte auch die Frage einfallen können, wieso er nicht den Notausgang, der Tag und Nacht von innen ohne Schlüssel benutzbar ist, verwendet hat.

Der lange Vorlauf bis zum Betrug

Nun, er kam nicht. Ich läutete nach 21 Uhr bei der Tür Nummer 7 sowohl auf der einen Stiege als auch auf der anderen an. Dass er nicht auf meiner Stiege wohnt, war mir ja klar. Die Leute waren freundlich aber ahnungslos. Nun war mir klar, dass ich tatsächlich einem Betrüger aufgesessen war.

Das alles wäre aber nicht passiert, hätte ich nicht meine Reisetasche im Zug stehen gelassen. Denn dan wäre ich ihm gar nicht begegnet, da ich  keinen Grund gehabt hätte, am Abend noch eine Apotheke aufzusuchen.

Fragen und Gedanken zum Schluss

Ob mein Betrüger sich nun gut fühlt mit seiner Beute? Ob er lacht über die dumme Alte, die er übers Ohr gehauen hat? Ob ihm irgendwann Zweifel kommen? Auf jeden Fall kommt er ungeschoren davon. Warum ich diese Geschichte erzähle?

Mich fasziniert der lange Vorlauf, bis es zur betrügerischen Tag kommen konnte. Erst dadurch wurde ich zufällig die Betrogene. Und mir wird wieder deutlich, dass auch ich, eine reflektierte und aufmerksame Person, nicht in jeder Minute des Tages und vor allem des Abends reflektiert und aufmerksam sein kann.

Diese Erkenntnis ist mir wichtig. Da sie mich nicht nur in so einer Situation, die wohl nie wieder kommen wird,  hilft, mich selbst nicht zu überschätzen. Und bevor ich anderen misstraue, meine eigenen Impulse zu hinterfragen.

One Reply to “Der Betrug und der Zufall”

  1. … was ich natürlich jetzt noch unbedingt wissen muss, ansonsten ich bestimmt nicht ruhig einschlafen kann, ist wenigstens die Reisetasche wieder gesichert und bei der rechtmässigen Besitzerin, oder fährt sie immer noch Bahn?

    Im übrigen denke ich Betrüger sind gewissenlos, sie wählen ihre Opfer aus unterschiedlicher Motivation (Not, Gier, Sucht, Spaß, uvam.) unabhängig des Alters.

    Ich wurde (vermutlich auch weiterhin) mehrmalig schon betrogen. Immerhin ich erkenne bereits die Muster die dahinter stecken – oft sind die Geschichten sogar gleich.
    Ein Person spricht mich an, erscheint bedürftig, ich möchte helfen – das passiert meist auch, dieser mitmenschliche Ansatz beinhaltet aber leider immer auch ein Risiko in sich, das sagt mein Verstand – oft zu leise.

    Ich habe mir vorgenommen daran zu denken, wenn mir wieder jemand seine schicksalhafte Geschichte erzählt und mich gewählt hat, um ihm Gutes zu tun, ob ich Erfolg habe oder der Betrüger bleibt immer eine Gallange.

    Mißtrauen fühlt sich schlecht an, betrogen zu werden ebenfalls – ein Dilemma der Gefühle.

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