Weniger Gitter, mehr Bildung: Wie Länder wie die Niederlande, Schweden und Nordirland neue Wege im Jugendstrafvollzug gehen – mit überraschendem Erfolg.

Es ist, als lebten sie in einer Fantasiewelt. Dann holt sie die Realität ein – und plötzlich sind sie wieder kleine Kinder, zusammengerollt in Embryohaltung und voller Reue.
Mit diesen eindrücklichen Worten beschreibt ein schwedischer Polizeikommissar die psychologische Zerrissenheit vieler Jugendlicher, die schwere Gewaltverbrechen begehen – Worte, die während des EuroPris-Webinars 2025 zur Diskussion über den Jugendstrafvollzug gefallen sind. Die Zahlen dazu sind alarmierend: Allein in Schweden stieg die Zahl der 15- bis 17-Jährigen, die wegen Mordes verdächtigt wurden, von 16 im Jahr 2013 auf 395 im Jahr 2024.

Entwicklung, nicht Bestrafung

Im Zentrum der Fachkonferenz standen Perspektiven aus Schweden, den Niederlanden, Nordirland und Estland. Alle Länder eint ein gemeinsames Ziel: Jugenddelinquenz soll nicht mit maximaler Härte, sondern mit maximaler Wirksamkeit begegnet werden – und das bedeutet vor allem: Entwicklung, nicht Bestrafung.

Die Niederlande beispielsweise setzen seit 2016 verstärkt auf kleine, gemeindenahe Einrichtungen mit maximal acht Plätzen, in denen Jugendliche ihre Schule oder Ausbildung fortsetzen können. Diese Einrichtungen verzichten bewusst auf hohe Mauern oder Gitter – Sicherheit wird hier nicht durch bauliche Maßnahmen gewährleistet, sondern durch Beziehungen. Relationale Sicherheit statt physischer Abschottung, wie es die niederländische Forscherin Flur Sovereign formuliert.

Sie verweist auf eine Studie, wonach 44 % der Jugendlichen im niederländischen Jugendvollzug einen IQ unter 85 aufweisen – ein Indiz für kognitive Entwicklungsverzögerungen und die Notwendigkeit individualisierter Fördermaßnahmen. Viele seien außerdem von Traumata, Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen.

Nordirland: Vom Gefängnis zur Bildungseinrichtung

Einen radikalen Kulturwandel beschreibt auch das Team aus Nordirland. Dort wurde das Jugend- und Frauengefängnis Hydebank Wood ab 2015 konsequent in eine „Secure College“ umgewandelt – eine Art Schule mit Sicherheitsvorkehrungen. Insassen heißen hier nicht mehr „Gefangene“, sondern „Studierende“, was den pädagogischen Anspruch unterstreicht.

Was du benennst, verändert, wie du es behandelst, erklärte der zuständige Gouverneur Richard Taylor. Aus einem einst als gefährlich eingestuften und von Dysfunktion geprägten Gefängnis wurde durch Bildungs- und Resozialisierungsprogramme ein Ort, der laut den Inspektionsbehörden heute als „vorbildlich“ gilt.

Konkrete Programme wie Tiergestützte Pädagogik, handwerkliche Schulungen und Partnerschaften mit lokalen Unternehmen sollen den jungen Menschen eine Perspektive geben. Mehr Jugendliche in Großbritannien haben einen Elternteil im Gefängnis als Eltern, die geschieden sind, betonte Taylor – ein deutlicher Hinweis auf intergenerationale Kriminalitätsrisiken.

Verschiedene Länder, ähnliche Herausforderungen

Insgesamt zeigte das Webinar, dass Altersgrenzen für Strafmündigkeit in Europa stark variieren – sie reichen von 12 bis 18 Jahren. Die UN empfiehlt 14 Jahre als absolutes Minimum. Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass die Justizpolitik in vielen Ländern zu stark auf Kontrolle und zu wenig auf Entwicklung setzt.

Die Forschung von Flur Sovereign und ihrem internationalen Netzwerk „GIRAFFE“ legt nahe, dass eine stärkere Orientierung an entwicklungspsychologischen Erkenntnissen – insbesondere an der fortschreitenden Reifung des Gehirns im Jugendalter – dringend geboten ist.
Selbst kurze Inhaftierungen können schützende Faktoren kappen, ohne genug Zeit zu lassen, um neue aufzubauen“, so Sovereign.

Das EuroPris-Webinar 2025 war ein eindrücklicher Beleg dafür, dass ein humaner, bildungsorientierter Jugendstrafvollzug nicht nur möglich, sondern notwendig ist.
Wenn wir als Gesellschaft wollen, dass junge Menschen Verantwortung übernehmen, müssen wir ihnen erst zeigen, wie das geht – in einem System, das ihnen nicht nur das Vergehen vorhält, sondern das Aufrichten ermöglicht.

Hier können Sie eine Aufzeichnung des Webinars ansehen:

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