In Gerichtsprozessen mit psychischen Fragestellungen hoffen manche auf klare Antworten aus dem High-Tech-Labor: Gehirnscans, genetische Tests oder andere neurobiologische Befunde scheinen auf den ersten Blick objektiv und überzeugend.

Doch erfahrene forensische Psychiater betonen, dass nichts über eine gründliche Untersuchung der Psyche des Menschen geht. Moderne Neurowissenschaft ist faszinierend, aber bei der Beurteilung von Schuldfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit gilt weiterhin: Im Zentrum steht der Mensch mit seinem Erleben und Verhalten, nicht das bunte Bild aus dem Scanner.

Vorrang für die psychische Untersuchung

In der forensischen Psychiatrie – also wenn Gutachter die psychische Verfassung einer Person für ein Gericht beurteilen – hat sich eine klare Rangfolge bewährt. Die klassische klinische Begutachtung der Person ist der Goldstandard. Das bedeutet, ein Sachverständiger führt ausführliche Gespräche, beobachtet das Verhalten und prüft detailliert, welche psychischen Symptome oder Auffälligkeiten vorliegen. Dieser vertiefende Blick auf die Psyche liefert die entscheidenden Anhaltspunkte: Leidet die Person unter Wahnvorstellungen? Bestehen schwere Stimmungen oder Denkstörungen? Wie steht es um Impulskontrolle und Realitätsbezug? Solche Fragen lassen sich nur durch intensive persönliche Untersuchung beantworten.

Neurobiologische Befunde – zum Beispiel Ergebnisse aus bildgebenden Verfahren wie MRT oder CT, genetische Analysen oder Laborwerte – können dieses Bild ergänzen, aber sie ersetzen es nicht. Sie sind weder notwendig noch ausreichend, um den mentalen Zustand sicher zu beurteilen. Ein Hirnscan kann etwa strukturelle Auffälligkeiten zeigen, doch was bedeuten diese konkret für das Denken, Fühlen und Handeln der Person? Hier braucht es immer die klinische Interpretation. Daher fließen neurologische und neuropsychologische Daten nur dann sinnvoll in ein Gutachten ein, wenn sie passend zu den beobachteten psychischen Symptomen interpretiert werden. Diese Interpretation erfordert viel Erfahrung und kritisches methodisches Know-how. Kurz gesagt: Der Gutachter muss Neurobilder einordnen können – im Lichte der Psychopathologie der Person, nicht losgelöst davon.

Ärzte bei einem MRT

Was gilt als Krankheit vor dem Gesetz?

Ein weiterer wichtiger Punkt: Das Recht hat eigene Definitionen, was als „psychische Krankheit“ zählt. Im deutschen Gesetz ist klar vorgegeben, dass für bestimmte Entscheidungen (etwa ob jemand schuldfähig ist oder ob ein Testament gültig aufgesetzt wurde) zuerst geprüft werden muss, ob überhaupt eine relevante psychische Störung vorliegt. Dieser Schritt wirkt wie ein Filter. Nur wenn jemand an einer solchen psychischen Erkrankung leidet, wird in einem zweiten Schritt geschaut, ob und wie stark diese Erkrankung seine Fähigkeit beeinträchtigt hat, das Unrecht einer Tat einzusehen oder frei Entscheidungen zu treffen.

Was bedeutet „relevante psychische Störung“ im rechtlichen Sinne? Überraschenderweise zählen hier nur Störungen der Geistestätigkeit, also klinisch feststellbare psychische oder kognitive Beeinträchtigungen. Reine Hirnveränderungen ohne psychische Auswirkungen genügen nicht. Ein Beispiel: Nehmen wir an, bei einer Person wird ein Hirntumor festgestellt. Dieser Tumor an sich ist eine körperliche Erkrankung. Solange er aber keine deutlichen psychischen Symptome verursacht – etwa Veränderungen der Persönlichkeit, Gedächtnisausfälle oder Wahn – erfüllt er nicht die gesetzlichen Kriterien einer psychischen Störung im Sinne der Schuldfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit. Mit anderen Worten: Entscheidend ist, ob das Krankheitsbild die Psyche und das Verhalten so beeinflusst, dass es juristisch relevant wird. Dementsprechend verlangen Gerichte bei der Begutachtung solcher Fragen auch explizit eine fachpsychiatrische Einschätzung. Ein Neurologe allein mag den Tumor diagnostizieren können, doch ob dieser Tumor das Denken und Handeln so beeinträchtigt, dass eine Person z. B. nicht mehr für ihre Taten verantwortlich ist, kann nur durch psychiatrische Bewertung der Symptome entschieden werden.

Diese juristische Definition macht deutlich, warum psychopathologische Analysen Vorrang haben: Sie liefern den Nachweis, ob überhaupt eine psychische Abweichung mit Krankheitswert vorliegt. Ein biologischer Befund kann maximal erklären, warum jemand krank sein könnte, ersetzt aber nicht den Nachweis, dass jemand in seinem Erleben und Verhalten tatsächlich krankheitsbedingt eingeschränkt ist.

Grenzen der Hirnscans

Moderne Bildgebungsverfahren können heute detaillierte Aufnahmen des Gehirns liefern. In der Forschung wurden Zusammenhänge entdeckt – zum Beispiel bestimmte Hirnregionen, die bei Impulsivität oder Empathie eine Rolle spielen. Doch von einem Hirnbild direkt auf menschliches Verhalten zu schließen, ist äußerst schwierig und oft nicht möglich. Ein auffälliger Befund im Gehirn – etwa eine Veränderte Struktur im Frontalhirn – bedeutet nicht automatisch, dass die Person aggressiv oder unzurechnungsfähig ist. Viele Menschen leben mit erheblichen Hirnabweichungen ohne nennenswerte Verhaltensänderungen, denn das Gehirn ist anpassungsfähig. Umgekehrt kann jemand gravierende psychische Symptome haben, aber ein unauffälliges Gehirnscan-Ergebnis.

Ein CT eines Gehirns

Zudem gibt es keine einzelne „Verbrecher-Hirnregion“ oder ein einzelnes „Aggressionszentrum“, das man auf einem Bild eindeutig erkennen könnte. Komplexe Phänomene wie kriminelles Verhalten entstehen durch das Zusammenspiel vieler Faktoren – biologischer, psychischer und sozialer. Selbst wenn Studien zeigen, dass im Durchschnitt gewisse Hirnareale bei Gewalt­tätern anders aussehen, lässt sich daraus für den Einzelfall vor Gericht kaum etwas Sicheres ableiten. Die kriminelle Tat selbst ist noch kein „Symptom“, das man auf einem Scan sichtbar machen könnte. Stattdessen schaut der Gutachter auf konkrete klinische Anzeichen: Hatte die Person z. B. eine schwere Impuls­kontrollstörung? Litt sie unter Halluzinationen oder Verkennungen, als die Tat geschah? Nur wenn solche manifesten Symptome da sind, helfen neurologische Befunde weiter – nämlich indem sie möglicherweise erklären, was im Kopf vor sich geht.

Ein Gehirnscan ist also immer nur in Kombination mit dem psychischen Befund sinnvoll nutzbar. Findet man in der Bildgebung eine Auffälligkeit, die zu den diagnostizierten Symptomen passt (etwa eine Hirnläsion in einem Bereich, der das Urteilsvermögen beeinträchtigen kann, bei gleichzeitig festgestellten schweren Persönlichkeitsveränderungen), dann untermauert das den Befund. Passt das Bild hingegen nicht zu dem, was man klinisch sieht, zieht man besser die klinische Realität heran. Denn liegt ein Befund vor, ohne dass die erwartbaren psychischen Symptome auftreten, muss man sogar die Diagnose hinterfragen: Vielleicht ist die Person gar nicht krank im rechtlichen Sinne, trotz auffälligem Scan. Ein unauffälliger Scan schließt umgekehrt eine psychische Störung nicht aus – wenn jemand eindeutig wahnhaft oder tief depressiv ist, ändert ein normales MRT-Bild daran nichts.

Schluss: Der Mensch im Mittelpunkt

Die forensische Psychiatrie erinnert uns daran, dass hinter jedem Hirnscan ein Mensch mit seiner Geschichte steht. Neurowissenschaftliche Methoden liefern spannende Erkenntnisse und werden immer besser – möglicherweise werden Techniken wie funktionelle MRTs oder KI-Analysen in Zukunft noch hilfreichere Bausteine sein. Doch vor Gericht zählen nachvollziehbare, konkrete Anzeichen einer psychischen Beeinträchtigung. Entscheidend ist, ob und wie eine psychische Krankheit das Denken, Fühlen und Handeln beeinflusst hat. Damit werden die Rechte aller Beteiligten gewahrt – denn Urteile sollen auf dem tatsächlichen Zustand einer Person basieren, nicht allein auf Laborbildern.

Am Ende gilt: Die Technik kann unterstützen, aber sie ersetzt nicht das Verstehen des Menschen.

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