Warum Menschen Verbrechen gestehen, die sie nicht begangen haben – und wie sich das verhindern lässt

Jahr für Jahr werden Menschen zu Unrecht verurteilt – oft basierend auf einem Geständnis, das sie nie hätten ablegen sollen. Eine neue wissenschaftliche Untersuchung, die Studie „Police-Induced Confessions, 2.0: Risk Factors and Recommendations“ von Saul M. Kassin et al. (2025), zeigt, welche Verhörmethoden problematisch sind, welche Menschen besonders gefährdet sind und wie Justizirrtümer vermieden werden können.

Das Problem: Warum gestehen Unschuldige?

Ein Geständnis gilt vor Gericht als besonders starkes Beweismittel. Doch die Analyse zahlreicher Justizirrtümer hat gezeigt, dass Menschen in bestimmten Situationen dazu gebracht werden können, Verbrechen zu gestehen, die sie nie begangen haben. Das liegt oft an den Methoden der Polizei. Lange Verhöre, psychologischer Druck und sogar Täuschungstaktiken können dazu führen, dass Unschuldige kapitulieren – und sich selbst belasten.

Die Folgen sind gravierend. Falsche Geständnisse führen nicht nur dazu, dass unschuldige Menschen im Gefängnis landen, sondern beeinflussen auch andere Beweise. Zeugenaussagen, forensische Analysen und sogar das Verhalten von Geschworenen und Richtern werden durch ein Geständnis oft in eine falsche Richtung gelenkt. Besonders gefährdet sind dabei Jugendliche, da sie besonders beeinflussbar sind und dazu neigen, kurzfristige Vorteile höher zu gewichten als langfristige Konsequenzen. Auch Menschen mit geistigen oder psychischen Beeinträchtigungen sind anfälliger für Druck und Manipulation. Sozial benachteiligte Personen, die wenig über ihre Rechte wissen oder keine anwaltliche Unterstützung haben, sind ebenfalls einem hohen Risiko ausgesetzt, sich selbst zu belasten, um eine belastende Situation zu beenden.

Wie Polizeiverhöre falsche Geständnisse provozieren

Polizeiliche Verhörmethoden sind oft darauf ausgerichtet, Geständnisse zu erzwingen – unabhängig davon, ob der Verdächtige schuldig ist oder nicht. Viele falsche Geständnisse entstehen nach stundenlangen oder sogar tagelangen Verhören, bei denen Verdächtige isoliert und unter Schlafentzug oder Stress gesetzt werden. Ermittler dürfen in manchen Ländern Täuschungstaktiken anwenden, indem sie vorgeben, Beweise gegen die Verdächtigen zu haben, etwa DNA-Spuren oder Zeugenaussagen. Dadurch entsteht für viele Menschen der Eindruck, dass ein Geständnis der einzige Ausweg ist. Hinzu kommen sogenannte Minimierungstaktiken, bei denen Polizisten suggerieren, dass die Tat nicht so schlimm sei oder dass ein Geständnis mit einer milderen Strafe belohnt werde, wodurch Verdächtige sich eher selbst belasten.

Einmal abgelegt, ist ein Geständnis nur schwer zu widerlegen. Selbst wenn sich später Beweise für die Unschuld einer Person finden, halten viele Richter und Geschworene an der ursprünglichen Einschätzung fest. Zudem beeinflussen Geständnisse die Bewertung anderer Beweise, sodass sich Zeugen plötzlich „anders“ erinnern oder Forensiker Spuren zugunsten der Anklage interpretieren. Auch nach einer Entlastung bleibt die Stigmatisierung bestehen, und viele ehemalige Häftlinge, die zu Unrecht verurteilt wurden, haben große Schwierigkeiten, wieder in die Gesellschaft zurückzufinden.

Die Lage in Österreich

In Österreich sind die rechtlichen Rahmenbedingungen für polizeiliche Vernehmungen klar definiert, um die Rechte der Beschuldigten zu schützen und das Risiko falscher Geständnisse zu minimieren. Gemäß der österreichischen Strafprozessordnung (StPO) haben Beschuldigte das Recht, die Aussage zu verweigern, um sich nicht selbst zu belasten. Dieses Recht ist ein zentraler Bestandteil des österreichischen Rechtssystems und dient dem Schutz vor Selbstbelastung. Trotz dieser Schutzmechanismen können in der Praxis dennoch falsche Geständnisse auftreten. Studien zeigen, dass Faktoren wie psychischer Druck, lange Verhöre oder suggestive Befragungstechniken dazu führen können, dass Unschuldige Geständnisse ablegen.

Um solche Fehlentwicklungen zu verhindern, ist es essenziell, dass die in der StPO verankerten Rechte in der polizeilichen Praxis konsequent umgesetzt werden. Dazu gehört die umfassende Aufklärung der Beschuldigten über ihr Recht, die Aussage zu verweigern, sowie die Möglichkeit, jederzeit rechtlichen Beistand hinzuzuziehen. Zudem sollten Vernehmungen, wann immer möglich, audiovisuell aufgezeichnet werden, um Transparenz zu gewährleisten und die Integrität des Verfahrens zu sichern. Die österreichische Polizei hat in den letzten Jahren Schritte unternommen, um Vernehmungsmethoden zu verbessern und das Bewusstsein für die Problematik falscher Geständnisse zu schärfen. Dennoch bleibt es eine gemeinsame Aufgabe von Justiz, Exekutive und Gesellschaft, kontinuierlich an der Weiterentwicklung von Standards zu arbeiten, um die Rechte der Beschuldigten zu schützen und die Wahrscheinlichkeit von Fehlurteilen weiter zu reduzieren.

Lösungen: Wie können falsche Geständnisse verhindert werden?

Die Studie empfiehlt verschiedene Reformen, um Justizirrtümer zu vermeiden. Eine verpflichtende Videoaufzeichnung von Verhören könnte sicherstellen, dass keine fragwürdigen Methoden angewendet werden. Zudem sollte Täuschung durch erfundene Beweise verboten werden, und lange, auszehrende Verhöre sollten zeitlich begrenzt sein. Statt auf Drucktaktiken zu setzen, sollten wissenschaftlich fundierte Verhörmethoden wie das PEACE-Modell eingeführt werden, das auf offene Fragen und kooperative Gesprächsführung setzt. Besonders gefährdete Gruppen wie Jugendliche oder psychisch Kranke sollten während des gesamten Verfahrens einen Anwalt an ihrer Seite haben. Zudem sollten Zeugenaussagen und forensische Analysen unabhängig von vorherigen Geständnissen bewertet werden, um Beeinflussung zu vermeiden. Auch Entschädigungsregelungen müssen reformiert werden, damit unschuldig Verurteilte nicht bestraft werden, nur weil sie ein falsches Geständnis abgelegt haben.

Ein Umdenken ist nötig

Falsche Geständnisse sind keine Seltenheit und gefährden die Integrität des gesamten Justizsystems. Die Polizei muss Verhörmethoden überdenken, die Justiz muss sensibler auf die Problematik reagieren, und die Gesellschaft muss erkennen, dass ein Geständnis nicht automatisch Schuld bedeutet. Nur durch bessere Schutzmaßnahmen und wissenschaftlich fundierte Verhörmethoden kann sichergestellt werden, dass Unschuldige nicht für Verbrechen bestraft werden, die sie nie begangen haben.

One Reply to “Falsche Geständnisse: Wenn Unschuldige unter Druck gestehen”

  1. In Österreich.
    „Verdächtigt, vorverurteilt, und 522 Tage (=17 Monate) unschuldig hinter Gittern.“
    Der jüngste Fall von Justiz Irrtum und Ermittlung’s Fehler, beschreibt der Betroffene Österreicher Florian APLER in seinem Buch „Der Fall Leon“.

    Sehr berührend.

    Verlag MOLDEN
    ISBN 978-3-222-15151-4

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