Die österreichische Bundesregierung hat in ihrem aktuellen Regierungsprogramm eine Reihe von Reformen im Bereich der Justiz angekündigt. Dabei stehen sowohl strukturelle Veränderungen als auch Anpassungen im Strafrecht, Familienrecht und beim Straf- und Maßnahmenvollzug im Mittelpunkt. Die angestrebten Neuerungen zielen darauf ab, den Rechtsstaat effizienter und unabhängiger zu gestalten, Opferrechte zu stärken, den Justizvollzug zu modernisieren und durch Digitalisierung die Verfahrensdauer zu verkürzen. Während einige Maßnahmen breite Zustimmung finden dürften, gibt es auch Vorhaben, die voraussichtlich kontrovers diskutiert werden.

Unabhängigkeit der Justiz durch eine Bundesstaatsanwaltschaft
Ein zentrales Vorhaben ist die Einführung einer Bundesstaatsanwaltschaft, die als unabhängiges Kollegialorgan die Fachaufsicht über die Staatsanwaltschaften übernehmen soll. Bisher liegt diese Weisungsbefugnis beim Justizminister, was in der Vergangenheit immer wieder zu Vorwürfen der politischen Einflussnahme geführt hat. Mit der neuen Struktur soll sichergestellt werden, dass Staatsanwälte unabhängig ermitteln können und politische Weisungen keinen Einfluss auf strafrechtliche Ermittlungen haben. Diese Reform steht im Zeichen einer umfassenden Modernisierung der Justizverwaltung, die mehr Transparenz und Objektivität schaffen soll.
Eng damit verknüpft ist eine Überprüfung und Neuausrichtung des Rechtsschutzsystems. Besonders heikle Ermittlungsmaßnahmen, etwa im Bereich der Korruptionsbekämpfung oder des Terrorismus, sollen künftig durch ein gestärktes System von Rechtsschutzbeauftragten besser kontrolliert werden. Dies soll dazu beitragen, dass einerseits effektive Strafverfolgung gewährleistet bleibt und andererseits rechtsstaatliche Prinzipien nicht verletzt werden.
Strafrechtliche Verschärfungen und mehr Schutz für Opfer
Die geplanten Änderungen im Strafrecht haben einen klaren Schwerpunkt auf den Schutz von Opfern. Insbesondere im Bereich der Sexualstraftaten soll es zu Verschärfungen kommen, um Täter konsequenter zur Verantwortung zu ziehen und Lücken im bestehenden Recht zu schließen. Auch die Verjährungsfrist für bestimmte Sexualdelikte wird überprüft, um sicherzustellen, dass Opfer von Missbrauch oder sexueller Gewalt auch nach längerer Zeit noch rechtliche Schritte einleiten können.
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Bekämpfung von Hasskriminalität und Gewalt gegen Frauen. Femizide sollen nicht nur strafrechtlich härter verfolgt, sondern auch präventive Maßnahmen intensiviert werden. Im digitalen Bereich wird eine Gesetzesnovelle vorbereitet, die die unerwünschte Zusendung von pornografischen Bildern oder Videos – oft als „Dick Pics“ bezeichnet – unter Strafe stellt. Damit will die Regierung einen wirksamen Schutz vor digitaler Belästigung schaffen, ein Bereich, in dem das bestehende Recht bislang kaum eine Handhabe bot.
Auch im Bereich der Vermögensdelikte sollen Anpassungen vorgenommen werden, um sicherzustellen, dass Strafen für Betrugsfälle in einem gerechten Verhältnis zu jenen für Delikte gegen Leib und Leben stehen. Die Regierung will zudem neue Maßnahmen gegen bandenmäßigen Betrug und Finanzkriminalität setzen.
Modernisierung des Maßnahmenvollzugs und Entlastung der Justizanstalten
Ein weiterer Reformschwerpunkt betrifft den Maßnahmenvollzug und die generelle Organisation des Strafvollzugs. Die Regierung plant eine stärkere Nutzung alternativer Strafmodelle, um Justizanstalten zu entlasten und Haftstrafen zielgerichteter einzusetzen. Dazu zählt etwa die verstärkte Nutzung der Fußfessel für bestimmte Delikte, die es ermöglicht, Straftäter unter strengen Auflagen in der Gesellschaft zu belassen, anstatt sie in überfüllten Gefängnissen unterzubringen.
Ein bedeutender Aspekt der Reform betrifft die Bekämpfung von Radikalisierung in Gefängnissen. Die Regierung plant die Einführung spezieller Monitoring- und Präventionsstellen, die gezielt darauf ausgerichtet sind, islamistische Radikalisierung innerhalb der Justizanstalten zu unterbinden. Dabei sollen Experten aus den Bereichen Deradikalisierung, Psychologie und Sozialarbeit eng mit der Justiz zusammenarbeiten.
Stärkung der Menschenrechte im Justizsystem
Das Regierungsprogramm betont die Notwendigkeit, den Schutz der Grund- und Freiheitsrechte zu stärken und sicherzustellen, dass rechtsstaatliche Prinzipien konsequent eingehalten werden. Besonders im Fokus stehen Maßnahmen gegen Diskriminierung und für eine wehrhafte Demokratie. Der Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und religiösen Extremismus wird als essenziell betrachtet, um die gesellschaftliche Stabilität zu bewahren. Dies soll sowohl durch Aufklärungskampagnen als auch durch eine schärfere strafrechtliche Verfolgung von Hassverbrechen umgesetzt werden.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Stärkung der Rechte von Minderheiten. Die Regierung plant, rechtliche Mechanismen zur besseren Durchsetzung von Antidiskriminierungsmaßnahmen zu schaffen und die Gleichstellung vor dem Gesetz sicherzustellen. Gleichzeitig wird das Asyl- und Migrationsrecht im Sinne der Menschenrechte überarbeitet, wobei ein strikter Kurs gegen illegale Migration mit Maßnahmen zur Integration kombiniert werden soll.
Auch der Schutz der Pressefreiheit wird in den Maßnahmenkatalog aufgenommen. Die Regierung betont die Notwendigkeit unabhängiger und objektiver Berichterstattung und möchte sicherstellen, dass Journalistinnen und Journalisten ohne Einschränkungen arbeiten können. Geplant ist eine Reform des Medienrechts, die eine größere Transparenz in der staatlichen Medienförderung schaffen soll.
Zudem soll das Justizsystem in Bezug auf den Schutz von Menschenrechten stärker überwacht werden. Die Regierung plant, die Institutionen zur Kontrolle von Menschenrechtsverletzungen auszubauen, insbesondere im Hinblick auf Polizeigewalt und staatliche Eingriffe in die Privatsphäre. Die Einführung einer unabhängigen Kontrollinstanz für Missbrauchsfälle durch staatliche Institutionen wird ebenfalls diskutiert.
Beschleunigung und Digitalisierung der Justiz
Um die Justiz effizienter zu gestalten, wird eine umfassende Digitalisierungsoffensive gestartet. Dazu gehört eine schnellere Veröffentlichung von rechtskräftigen Instanzentscheidungen, eine verbesserte Akteneinsicht für Prozessbeteiligte und der verstärkte Einsatz digitaler Dolmetscherdienste. Die Digitalisierung soll nicht nur Verfahrensabläufe beschleunigen, sondern auch den Zugang zur Justiz für Bürgerinnen und Bürger erleichtern.
Ein ambitioniertes Reformprogramm mit Herausforderungen?
Die geplanten Reformen im Justizbereich sind umfassend und ambitioniert. Während die Digitalisierung und die Stärkung des Opferschutzes breite Unterstützung finden dürften, könnten insbesondere die Reform des Familienrechts, die „Bemühungen“ zur Reform des überlasteten und menschenrechtswidrigen Maßnahmenvollzug und die Einführung einer Bundesstaatsanwaltschaft politische Diskussionen auslösen. Die Stärkung der Menschenrechte im Justizsystem wird als zentrales Anliegen betrachtet, insbesondere im Bereich des Diskriminierungsschutzes und der Pressefreiheit. Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird darüber entscheiden, ob das Justizsystem tatsächlich effizienter, transparenter und gerechter wird. Die Bekenntnisse dazu sind jedenfalls da.