Psychische Erkrankungen sind in Gefängnissen überproportional häufig. Viele Inhaftierte leiden bereits vor Haftantritt unter psychischen Gesundheitsproblemen, und die Belastungen des Gefängnisalltags – von sozialer Isolation bis hin zu beengten Verhältnissen – können bestehende Leiden verschlimmern. Ebenso stehen Bewährungshelfer vor der Herausforderung, straffällig gewordene Menschen mit psychischen Problemen zu begleiten.

Angesichts dieser Situation hat der Europarat im Februar 2025 eine neue Empfehlung verabschiedet, die den Schutz der psychischen Gesundheit von Gefangenen und unter Bewährung stehenden Personen in den Mittelpunkt rückt. Im Folgenden beleuchtet dieser Artikel die zentralen Inhalte der Empfehlung CM/Rec(2025)2 und fragt, wie Deutschland, Österreich und die Schweiz mit gesetzlichen Vorgaben, aktuellen Initiativen und bestehenden Herausforderungen bei der psychischen Gesundheitsversorgung in Haft und Bewährung umgehen.
Europarat fordert gleiche Versorgung und geschultes Personal
Die Empfehlung CM/Rec(2025)2 des Europarats adressiert 46 Mitgliedstaaten und zielt darauf ab, die psychische Gesundheit von Häftlingen und auf Bewährung befindlichen Personen zu fördern und zu schützen. Ein Kernelement ist der Grundsatz der Gleichwertigkeit: Gefangene sollen Zugang zu einer psychischen Gesundheitsversorgung haben, die qualitativ der Versorgung der Allgemeinbevölkerung entspricht (). Dies bedeutet konkret, dass psychiatrische und psychotherapeutische Hilfe hinter Gittern nicht zweitklassig sein darf.
Zudem hebt der Europarat die entscheidende Rolle des Gefängnis- und Bewährungshilfepersonals hervor. Das Personal soll eine spezielle Ausbildung erhalten, um psychische Gesundheitsprobleme bei Gefangenen besser verstehen und menschlich angemessen darauf reagieren zu können. Empfohlen wird unter anderem, dass Inhaftierte frühzeitig von qualifiziertem Personal auf mögliche psychische Störungen untersucht werden. Im Bedarfsfall sollen ausführliche Diagnosen erfolgen, um individuellen Behandlungsbedarf festzustellen. Für akute Krisen fordert der Europarat klare Protokolle: Etwa bei Suizidgefahr oder Selbstverletzungen müssen sofort medizinische und psychologische Interventionen greifen.
Darüber hinaus betont die Empfehlung, dass die Einrichtungen – ob Gefängnis oder Bewährungshilfe – ein unterstützendes Umfeld schaffen sollen. Dazu gehören Aufklärung über psychische Gesundheit, Zugang zu psychosozialen Diensten, Förderung sozialer Kontakte, Möglichkeiten zu sportlicher und kreativer Betätigung sowie Unterstützung bei der Wiedereingliederung. Sicherheitsmaßnahmen dürften dabei niemals den Schutz der psychischen Gesundheit der Betroffenen untergraben. Diese europäischen Leitlinien setzen einen Rahmen – doch wie ist die Situation derzeit in Deutschland, Österreich und der Schweiz?
Deutschland: Hoher Behandlungsbedarf und Kritik an Versorgungslücken
In deutschen Justizvollzugsanstalten zeigt sich seit Jahren ein dramatisches Ausmaß psychischer Erkrankungen. Schätzungen zufolge leiden bis zu 88 % der Gefangenen an mindestens einer psychischen Erkrankung – hierzu zählen Suchterkrankungen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen und andere. Auch wenn belastbare Statistiken fehlen, gilt als sicher, dass die Mehrheit der rund 45.000 Inhaftierten psychische Probleme hat. Dem steht eine Versorgung gegenüber, die Fachleute als unzureichend kritisieren. So fehlen bis heute verlässliche Daten darüber, wie viele Psychiaterinnen, Psychologinnen und Therapeuten in den Gefängnissen tätig sind und wie viele Gefangene tatsächlich behandelt werden.
Erst 2023 hat die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) – alarmiert durch den Mangel an Informationen – alle Justizvollzugsanstalten befragt, um einen Überblick zur psychiatrischen Versorgung zu gewinnen. Die Befragung ergab deutliche Ressourcenlücken: Hochgerechnet stehen in über 130 Anstalten zusammen nur rund 46 Vollzeit-Stellen für ärztliche Psychiater zur Verfügung, wovon ein Drittel unbesetzt blieb. Psychologische Fachkräfte sind zwar etwas besser abgedeckt, doch viele Gefängnisse melden Probleme bei der psychiatrischen Betreuung – vor allem Personalmangel sowie fehlende Aufnahme- und Behandlungskapazitäten. In 121 Anstalten wurde berichtet, dass insgesamt 1.557 Gefangene eigentlich einer vollstationären psychiatrischen Behandlung bedurften, aber nur 47 % von ihnen tatsächlich in geeignete Kliniken verlegt werden konnten. Mit anderen Worten: Über die Hälfte der psychisch schwer erkrankten Inhaftierten musste mangels Plätze in der Forensik oder Psychiatrie in der Haftanstalt verbleiben.
Diese Engpässe zeigen sich auch in alarmierenden Indikatoren wie der häufigen Unterbringung suizidgefährdeter oder akut psychotischer Gefangener in sogenannten besonders gesicherten Hafträumen (Isolationszellen). Innerhalb eines Jahres wurden in 128 Anstalten insgesamt 5.812 derartige Isolierungen vorgenommen; nach Angaben einiger Gefängnisse litten viele der so untergebrachten Personen an psychischen Störungen. Solche Maßnahmen ersetzen oft eine angemessene therapeutische Betreuung, bergen aber Risiken für die Menschenwürde und Gesundheit der Betroffenen. Auch Zwangsmedikation wird in deutschen Gefängnissen angewandt – in 74 Fällen innerhalb von 12 Monaten – teils außerhalb von spezialisierten Krankenstationen, was Fragen nach fachgerechter Durchführung aufwirft.
Angesichts dieser Situation fordern Expert*innen dringende Verbesserungen. Die DGPPN-Arbeitsgruppe Gefängnispsychiatrie mahnt etwa an, geltende Behandlungsstandards und Leitlinien auch im Strafvollzug konsequent umzusetzen. Konkret bedeutet das: in jeder Haftanstalt eine ausreichende psychiatrische Grundversorgung sicherzustellen, den individuellen Bedarf systematisch zu erheben, das Personal im Umgang mit psychisch erkrankten Gefangenen zu schulen und bei Zwangsmaßnahmen (etwa Fixierung oder Zwangsmedikation) strikt nach medizinischen und ethischen Standards zu verfahren. Zudem wird gefordert, den Austausch zwischen Justiz und Gesundheitssystem zu verbessern – zum Beispiel durch bessere Kooperation mit externen Fachkliniken und eine nahtlose Weiterbehandlung nach der Haft.

Bewährungshilfe: In Deutschland obliegt die Bewährungshilfe den Bundesländern. Bewährungshelfer betreuen Straftäter nach der Haft oder anstatt einer Haft und sind oft mit Klienten konfrontiert, die psychische Probleme oder Suchtproblematiken haben. Hohe Fallzahlen pro Bewährungshelfer und regionale Unterschiede erschweren eine intensive Betreuung. In vielen Bundesländern kooperiert die Bewährungshilfe jedoch mit ambulanten Beratungsstellen und psychiatrischen Diensten, um ihren Schützlingen den Zugang zu Therapien oder Entzugsbehandlungen zu ermöglichen. Experten plädieren dafür, dass bereits vor der Entlassung psychisch auffälliger Gefangener der Kontakt zwischen Justizvollzug und Bewährungshilfe hergestellt wird, damit nahtlos weiterbetreut werden kann – etwa indem Suchtkranke direkt in ambulante Programme vermittelt werden. Dieses Zusammenspiel wird als entscheidend angesehen, um Rückfälle zu vermeiden und die psychische Stabilität in Freiheit zu fördern.
Trotz aller Herausforderungen gibt es auch positive Entwicklungen: Einzelne Länder justieren ihre Strafvollzugsgesetze nach und setzen stärker auf Resozialisierung und Therapie. So ist der Grundsatz der „Therapie statt Strafe“ bei geeigneten Fällen im deutschen Recht verankert – etwa können suchtkranke Straftäter zur Behandlung in Entziehungsanstalten (§64 StGB) untergebracht werden, anstatt eine Haftstrafe abzusitzen. Solche Maßnahmen erreichen jedoch nicht alle Bedürftigen, sodass weiterhin eine große Anzahl psychisch erkrankter Menschen in gewöhnlichen Haftanstalten verbleibt. Hier wird die neue Europarat-Empfehlung als wichtige Orientierung gesehen, um den Nachholbedarf bei der Gefängnispsychiatrie in Deutschland anzugehen.
Österreich: Reform des Maßnahmenvollzugs und Betreuung im Justizvollzug
Österreich steht vor ähnlichen Problemen, hat aber in den letzten Jahren vor allem den Maßnahmenvollzug – die Unterbringung psychisch kranker oder suchtkranker Straftäter in speziellen forensischen Einrichtungen – in den Fokus gerückt. Von rund 8.800 Inhaftierten in österreichischen Justizanstalten gilt etwa jeder Zehnte als Untergebrachter im Sinne des §21 StGB. Diese Personen werden nicht in normalen Gefängnissen untergebracht, sondern in forensisch-therapeutischen Zentren betreut, da sie aufgrund einer psychischen Erkrankung als gefährlich eingestuft sind. Die Zahl dieser Untergebrachten ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten stark gestiegen (seit 2000 hat sie sich mehr als verdoppelt, heute sind über 1.500 Menschen untergebracht), was das System vor große Herausforderungen gestellt hat. Berichte über überlange Unterbringungszeiten – teils Jahrzehnte – und unzureichende Therapiefortschritte haben Kritik am bestehenden System laut werden lassen.
Nach längerem Druck von ExpertInnen und Menschenrechtsorganisationen hat der Gesetzgeber Ende 2022 eine Reform des Maßnahmenvollzugs auf den Weg gebracht. Die Reform, die in Etappen erfolgt, soll die Unterbringung psychisch kranker Straftäter moderner und menschenrechtskonform gestalten. Im ersten Schritt wurden die gesetzlichen Kriterien angepasst: Begriffe wie „geistige oder seelische Abartigkeit“ wurden durch sachlichere Formulierungen wie „schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung“ ersetzt, und für weniger gefährliche psychisch kranke Rechtsbrecher wird künftig verstärkt eine Unterbringung in zivilen psychiatrischen Einrichtungen anstelle des Strafvollzugs erwogen. Auch spezielle Regeln für jugendliche Straftäter mit psychischen Problemen wurden geschaffen.
Dennoch stößt die Reform auf Kritik, weil zentrale Probleme weiterhin bestehen. So sind noch immer bis zu 80 % der im Maßnahmenvollzug Untergebrachten wegen vergleichsweise minderschwerer Delikte dort – etwa wegen Drohungen oder Widerstands gegen die Staatsgewalt –, was Experten als unverhältnismäßig ansehen. Eigentlich war gefordert worden, nur bei schweren Gewalttaten eine derart gravierende vorbeugende Maßnahme zu ergreifen. Diese Einschränkung wurde jedoch nicht vollständig umgesetzt: Auch künftig kann jemand, der ein Vergehen mit relativ niedriger Strafdrohung begangen hat, im Maßregelvollzug landen, sofern ein Gutachten ihm eine gefährliche Tat in der Zukunft prognostiziert. Da Prognosen unsicher sind und Gutachten in der Qualität variieren, befürchten Fachleute eine Fortsetzung der bisherigen Praxis. Zudem fehlt der zweite Teil der Reform, der sich der tatsächlichen Behandlung und Betreuung der untergebrachten Personen widmen soll – er ist seit langem angekündigt, aber noch nicht umgesetzt. Hier erwarten Beobachter beispielsweise klare Regelungen zur bestmöglichen therapeutischen Versorgung, zur regelmäßigen externen Überprüfung der Unterbringung und zur Vertretung der Rechte der Patienten.
Abseits des Maßnahmenvollzugs gibt es in den Justizanstalten Österreichs bereits verschiedene Ansätze zur Förderung der psychischen Gesundheit. Jede Haftanstalt verfügt über einen Psychologischen Dienst, und in der Regel werden Gefangene bei der Aufnahme durch Psychologinnen erstbegutachtet . Dabei wird nicht nur das Sicherheitsrisiko eingeschätzt, sondern auch der Bedarf an Interventionen – etwa ob eine Suchttherapie oder psychiatrische Abklärung notwendig ist. Die Anstaltspsychologinnen stehen den Insassen für Beratungsgespräche zur Verfügung, bieten teils Einzel- und Gruppentherapie an und arbeiten in Kriseninterventionen (z.B. bei akuter Suizidgefahr) mit. Insbesondere größere Anstalten haben feste Sprechstunden und Therapieangebote. In Wien etwa kommt ein spezielles Präventionsprogramm namens VISCI zum Einsatz, das anhand standardisierter Kriterien suizidgefährdete Häftlinge identifiziert und geeignete Haftraumzuweisungen sowie Überwachungsmaßnahmen vornimmt . Suizidprävention hat generell einen hohen Stellenwert; Justizwachebedienstete werden geschult, Warnsignale zu erkennen, und gefährdete Personen erhalten engmaschige Betreuung.
Für die medizinisch-psychiatrische Behandlung kooperiert der Justizvollzug mit externen Fachärzten und Kliniken. In den Justizanstalten selbst sind Justizärzte tätig, doch schwere psychiatrische Fälle werden oft in die forensisch-therapeutischen Zentren (etwa im Zentrum Asten in Oberösterreich) oder in psychiatrische Krankenhäuser verlegt. Allerdings gibt es Berichte, dass Haftplätze in solchen Einrichtungen knapp sind. Die Volksanwaltschaft als Menschenrechtsmonitoring-Stelle kritisierte wiederholt, dass psychisch kranke Häftlinge mangels externer Therapieplätze in regulären Gefängnissen verbleiben und dort nicht die notwendige Behandlung erhalten. Die Justizbetreuungsagentur (JBA), die für die Anstellung von Fachpersonal (Psychologen, Therapeuten, Pflegepersonal) im Strafvollzug zuständig ist, bemüht sich zwar um Aufstockung des Personals – doch gerade spezialisierte Fachärzte sind auch im Justizbereich Mangelware.

Bewährungshilfe: In Österreich wird die Bewährungshilfe vom Verein NEUSTART im Auftrag der Justiz durchgeführt. Bewährungshelferinnen (dort Bewährungshelfer genannt) betreuen bedingt Entlassene und überwachen die Einhaltung von Auflagen. Gleichzeitig sollen sie bei der Resozialisierung helfen, wozu auch die Vermittlung in Therapie oder Beratung gehören kann. NEUSTART bietet selbst oder in Kooperation Programme für Klientinnen mit Suchtproblemen, psychischen Schwierigkeiten oder sozialen Defiziten an. Die Herausforderung besteht darin, dass viele Entlassene nach langer Haft den Anschluss an externe Hilfsangebote verlieren. Hier fordert der Europarat – analog zur Situation in Haft – dass psychisch belastete Personen auf Bewährung Zugang zu adäquater Gesundheitsversorgung haben. In der Praxis bedeutet das, dass Bewährungshelfer eng mit psychosozialen Einrichtungen zusammenarbeiten. In Österreich existiert bereits ein Netz an Forensischen Ambulanzen, wo straffällig gewordene Menschen nach der Entlassung psychiatrisch nachbetreut werden können. Dennoch sind Bewährungshelfer oft mit sehr unterschiedlichen Problemlagen konfrontiert und stoßen an Grenzen, wenn zum Beispiel akute psychiatrische Krisen auftreten. Verbesserungsansätze sehen vor, Bewährungshelfer noch intensiver zu schulen, damit sie Anzeichen von psychischen Krisen erkennen und rasch professionelle Hilfe vermitteln können. Auch eine Entlastung durch geringere Fallzahlen pro Betreuer und der Ausbau von spezialisierten Nachsorgeprogrammen (z.B. für Gewalt- oder Sexualstraftäter mit Therapieauflagen) würden zur Förderung der psychischen Gesundheit aller Beteiligten beitragen.
Schweiz: Kantonale Unterschiede und Bedarf nach mehr Ressourcen
Die Schweiz weist im Grundsatz ähnliche Probleme auf, jedoch ist das Gefängniswesen hier kantonal organisiert. Das bedeutet, dass je nach Kanton und Anstalt die Betreuung psychisch kranker Inhaftierter sehr unterschiedlich aussehen kann. Studien in der Schweiz zeigen, dass mindestens die Hälfte bis hin zu drei Viertel der Gefangenen an psychischen Problemen leiden – häufig an Suchterkrankungen, Depressionen oder Psychosen. Diese hohe Prävalenz stellt die Gefängnisse vor erhebliche Herausforderungen. So berichtete die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) nach Besuchen in zahlreichen Haftanstalten, dass in den meisten Einrichtungen über 50 % der Insassen unter psychiatrischen Erkrankungen litten, während die therapeutischen Angebote vielfach unzureichend seien. Die Kommission forderte daher verstärkten Zugang zu psychiatrischer und psychologischer Behandlung für Inhaftierte mit solchen Diagnosen.
Ein aktuelles Beispiel für die Auseinandersetzung mit diesem Thema liefert der Kanton Zürich. Dort wurde 2023 eine großangelegte Studie zur psychischen Belastung in Gefängnissen durchgeführt, bei der über 900 Insassen verschiedener Haftformen befragt wurden. Die Ergebnisse untermauern, was Fachleute vermutet haben: Inhaftierte weisen eine deutlich höhere psychische Belastung auf als die Allgemeinbevölkerung. Symptome wie Angst, Niedergeschlagenheit, Schlafstörungen oder Suizidgedanken treten gehäuft und oft in erheblicher Intensität auf. Die Anfangsphase der Haft ist dabei besonders belastend, wenn Unsicherheit über die Zukunft und der Verlust des gewohnten Lebensalltages zusammenkommen. Die Zürcher Untersuchung deutet zudem an, dass die Belastung je nach Haftregime variiert – etwa zwischen strenger Untersuchungshaft und offenem Vollzug – was noch ausgewertet wird. Klar ist aber schon jetzt, dass ein großer Bedarf an psychotherapeutischer und psychiatrischer Versorgung besteht. Um dem zu begegnen, empfehlen die Studienautor*innen standardisierte Screenings bei Haftantritt, um gefährdete Personen frühzeitig zu erkennen, sowie eine optimierte Zuteilung des vorhandenen Personals. Zugleich wird betont, dass genügend Fachpersonal nötig ist, um allen Bedürftigen gerecht zu werden – ein Appell, der unmittelbar auf den Personalmangel in vielen Anstalten zielt.
In der Schweizer Praxis haben die meisten größeren Gefängnisse einen eigenen Gesundheitsdienst. So verfügt etwa die Justizvollzugsanstalt Pöschwies (die größte des Landes) über ein internes Gesundheitszentrum mit vier Ärztinnen, drei Psychiatern, zwei Zahnärzten, acht Pflegefachpersonen und 22 Psychologinnen . Damit können dort viele Bedürfnisse intern abgedeckt werden. Kleinere Gefängnisse hingegen haben oft nur stundenweise einen Arzt vor Ort und müssen externe Fachleute bei Bedarf hinzuziehen . Diese Unterschiede führen zu gewissen Ungleichheiten in der Versorgung. Positiv hervorzuheben ist, dass einige Kantone – insbesondere in der Westschweiz – die Gefängnisgesundheitsdienste dem öffentlichen Gesundheitsdepartement unterstellen, statt der Justiz. Experten begrüßen dies, da so die medizinische Unabhängigkeit gestärkt und die Integration in das allgemeine Gesundheitssystem verbessert wird . In deutschsprachigen Kantonen dagegen ist die Gefängnismedizin oft Teil der Strafvollzugsorganisation, was laut Kritiker*innen zu Interessenskonflikten führen kann (z.B. wenn Sicherheitsaspekte gegen therapeutische Maßnahmen abgewogen werden müssen).
Ein weiteres Thema in der Schweiz ist die Krankenversicherung von Häftlingen. Wer vor der Haft in der Schweiz wohnsitzgemeldet ist, fällt unter die obligatorische Krankenversicherung (KVG) – somit sind diese Inhaftierten ähnlich versorgt wie Draußen. Doch rund ein Drittel der Gefangenen hat keinen solchen Versicherungsschutz (etwa, weil sie Ausländer sind oder keinen festen Wohnsitz hatten). Für sie müssen die Kantone aufkommen, was nicht immer lückenlos geschieht. Der Bundesrat hat zwar eine Gesetzesänderung vorgeschlagen, um alle Inhaftierten ins Versicherungssystem einzubeziehen, doch diese Reform steht noch aus. Praktisch bedeutet dies, dass manche Insassen nur eine Notfallversorgung garantiert bekommen, aber keine kontinuierliche Therapie, solange kein Kostenträger feststeht – ein Zustand, den Menschenrechtsorganisationen kritisieren.
Bewährungshilfe: In der Schweiz gibt es keine landesweite, einheitliche Bewährungshilfe; sie ist kantonal geregelt oder wird teils von privaten Vereinen übernommen. Die Aufgabe der Bewährungshelfer (oft als Bewährungs- und Vollzugsdienste bezeichnet) ähnelt der in Deutschland und Österreich: Sie überwachen bedingte Entlassungen und helfen bei der Reintegration. Für psychisch belastete Straffällige auf Bewährung bestehen spezielle Angebote in einigen Kantonen, etwa forensische Nachsorgeprogramme oder die Begleitung durch sozialpsychiatrische Dienste. Dennoch bleibt die Betreuung nach der Haft ein Schwachpunkt. Übergangsangebote – z.B. betreute Wohnformen für Ex-Häftlinge mit psychischen Erkrankungen – sind begrenzt. Experten bemängeln, dass ohne ausreichende Nachbetreuung der Therapieerfolg gefährdeter Personen häufig nicht nachhaltig ist. Hier versuchen Projekte in Zürich und Genf gegenzusteuern, indem Bewährungshelfer mit klinischen Psychologen zusammenarbeiten, um einen lückenlosen Betreuungsplan vom Gefängnis in die Freiheit zu schaffen. Solche Vernetzungen zwischen Justiz und Gesundheitssystem entsprechen genau dem, was die Europarat-Empfehlung nahelegt: nämlich dass die Förderung der psychischen Gesundheit nicht an der Gefängnistür enden darf, sondern auch während der Bewährungsaufsicht fortgesetzt werden muss ().
Conclusio
Die psychische Gesundheit von Gefangenen und Bewährungsklient*innen rückt vermehrt ins Blickfeld – nicht zuletzt durch die Initiative des Europarats. Dessen Empfehlung CM/Rec(2025)2 formuliert klare Vorgaben: gleiche Gesundheitschancen für Inhaftierte, frühzeitige Diagnostik, professionelle Betreuung und menschliche Behandlung psychisch Kranker im Justizkontext. Deutschland, Österreich und die Schweiz haben bereits Schritte unternommen, um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, stehen aber auch vor strukturellen Hürden. In allen drei Ländern besteht ein hoher Behandlungsbedarf innerhalb der Gefängnisse, dem oft ein Mangel an Ressourcen und Angeboten gegenübersteht. Während in Deutschland vor allem der Ausbau der Gefängnispsychiatrie und die bessere Verzahnung mit dem Gesundheitssystem dringlich sind, ringt Österreich mit der Reform eines veralteten Maßnahmerechts und muss sicherstellen, dass nicht die Gefängnisse zum Auffangbecken für psychisch Kranke werden. Die Schweiz schließlich zeigt, dass auch in einem dezentral organisierten System der politische Wille gefragt ist, um kantonale Unterschiede abzufedern und Mindeststandards zu garantieren.
Trotz mancher Kritik gibt es auch Fortschritte: Mehr Training für Justizbedienstete im Umgang mit psychisch auffälligen Personen, innovative Projekte wie Screening-Programme oder forensische Ambulanzen, und ein zunehmendes Problembewusstsein in Justizministerien und der Öffentlichkeit. Nicht zuletzt wird erkannt, dass die Fürsorge für die mentale Gesundheit von Gefangenen keine „Luxusleistung“, sondern ein zentraler Bestandteil von Resozialisierung und Menschenwürde ist. Wenn Haftanstalten und Bewährungsorganisationen psychische Erkrankungen angemessen behandeln, profitieren nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch die Gesellschaft insgesamt – durch weniger Rückfälle, entlastete Mitarbeiter und ein humaneres Justizwesen. Die Herausforderung besteht nun darin, die empfohlenen Standards in der Praxis umzusetzen und nachhaltige Strukturen zu schaffen, die psychische Gesundheit hinter Gittern und auf Bewährung effektiv fördern.
Ein Problem welches häufig bei der Betreuung psychisch erkrankter Personen Auftritt ist eine sogenannte „mangelnde Krankheit’s Einsicht“. Wird diese erkannt bewirkt dieser Umstand das der Betroffenen Person keine therapeutische und/oder medizinische Hilfe zu kommt. Wie auch bei in Freiheit lebenden Menschen, ist jedoch eine sogenannte „Compliance“ dringend erforderlich, damit eine solche erreicht werden kann braucht es in der Gesellschaft eine Entstigmastisierung von Menschen mit psychischen Krankheiten.