Sonderbericht der Menschenrechtsprüfung über Haftbedingungen junger Menschen
Als besonders schützenswerte Gruppe sollten inhaftierte Jugendliche die bestmöglichen Anhaltebedingungen haben und zugleich gut auf das Leben nach der Haft vorbereitet werden. Diesen Appell richten die Mitglieder des Nationalen Präventionsmechanismus (NPM) – das sind die Volksanwaltschaft (VA) und ihre Kommissionen zur Menschenrechtsprüfung – in ihrem diesbezüglichen Sonderbericht an den Gesetzgeber. Da Jugendliche in Haft eine Minderheit im Vollzug darstellen, bemühe man sich besonders um Verbesserungen für diese Personengruppe. Harsch verurteilt wird vor diesem Hintergrund die Ordnungsstrafe des „Hausarrests“ bei jungen Inhaftierten, bei dem beispielsweise jede Arbeitsmöglichkeit für eine Woche entzogen oder die Dauer der Beleuchtung eingeschränkt werde. Generell sei der Jugendvollzug nach modernen, internationalen Menschenrechtsstandards auszurichten, mit der Resozialisierung und Rückfallprävention als oberste Priorität. Indem auch während einer Haft ein Schul- oder Lehrabschluss nachgeholt werden kann, sei den jungen Menschen eine „zweite Chance“ zu geben.
Mit Stichtag 1. August 2022 waren in Österreich 113 Jugendliche und 337 junge Erwachsene unter 22 Jahren inhaftiert. Die Anzahl der Jugendlichen in Haft sank laut Bericht in den Jahren 2010 bis 2014, stieg zwischen 2014 und 2016 wieder an und nahm seitdem wieder stetig ab. Ursache für die meist unter einem halben Jahr dauernde Haft dieser Jugendlichen seien vorrangig Vermögensdelikte, vor allem Raub und Diebstahl, so die Volksanwaltschaft.
Seit dem Sommer 2020 wurden von den Kommissionen des NPM zwölf Besuche in Justizanstalten (JA) mit dem Fokus auf jugendliche Insass:innen durchgeführt. In Augenschein genommen wurden die Sonderanstalt für Jugendliche in Gerasdorf, die JA Schwarzau und zahlreiche gerichtliche Gefangenenhäuser. In 15 Anstalten hielt die Volksanwaltschaft auch Sprechtage für die Insassinnen und Insassen ab.
Erschwerte Adoleszenz im Gefängnis
Die Entwicklung Jugendlicher hin zu selbständigen Erwachsenen gestalte sich im Strafvollzug besonders herausfordernd, so die NMP-Prüfer:innen mit Hinweis auf bestehende Mängel bei den Rahmenbedingungen. Kritisiert werden etwa eingeschränkte Besuchszeiten, die es den Inhaftierten erschweren, ihr soziales Netz aufrechtzuerhalten. Im Sinne einer erfolgreichen Resozialisierung seien zumindest einmal pro Woche abends bzw. an den Wochenenden Besuche der jungen Häftlinge durch ihre Bezugspersonen zu ermöglichen, weist die Volksanwaltschaft besonders auf die Bedeutung des Elternkontakts für Jugendliche hin. Speziell für Untersuchungsgefangene, bei denen keine Gesprächsüberwachung vorgesehen ist, solle schnell eine entsprechende Lösung herbeigeführt werden, so die Volksanwaltschaft, zumindest nachdem pandemiebedingte Einschränkungen weggefallen sind.
Bedauernd wird im Bericht festgestellt, dass das in der Justizanstalt Gerasdorf erprobte Modell des „Abholbesuchs“ – also eines Freigangs für einige Stunden mit Familie oder Bekannten – beendet worden ist. Aus dem Justizministerium habe es dazu geheißen, ein unbewachter Ausgang dieser Art sei gesetzlich nicht ausreichend gedeckt. Die im Frühjahr 2020 in den Gefängnissen ausgebaute Internettelefonie habe immerhin eine gewisse Erleichterung für Inhaftierte, deren Bezugspersonen weiter entfernt wohnen, gebracht, heißt es im Bericht. Im Gegensatz zu den Gesprächen über Wandtelefone sei sie außerdem für die Insassinnen und Insassen kostenlos.
Raschere Entscheidung über Unterbringung nötig
Oftmals als zu langwierig werten die Prüfer:innen außerdem die Klassifizierungsverfahren, bei denen entschieden wird, in welcher Justizanstalt junge Straftäter:innen untergebracht werden. Den NPM-Erhebungen zufolge wurde mehr als die Hälfte dieser Verfahren nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Zeit von maximal sechs Wochen durchgeführt. Die Beachtung der sozialen, psychologischen und medizinischen Empfehlungen der zivilen Fachdienste von jener Anstalt, in der die Insassin bzw. der Insasse zum Zeitpunkt des Urteils angehalten wird, sowie die persönlichen Wünsche des oder der Inhaftierten bildeten zwar eine wichtige Entscheidungsgrundlage, räumt die Volksanwaltschaft ein. Dennoch müsse die Entscheidung über den weiteren Vollzugsort rascher fallen, um ehestmöglich eine strukturierte Betreuung und Resozialisierung der jungen Menschen zu starten.
Positiv gesehen wird im Bericht allerdings die bereits mit der Jugendgerichtsgesetz-Novelle 2015 erfolgte Aufnahme von jungen Erwachsenen in die Sonderbestimmung zur strafrechtlichen Behandlung von Jugendlichen. Damit werde den persönlichen Krisen, die junge Menschen während ihrer Adoleszenz erleben, Rechnung getragen. Grundsätzlich sollten diese nur so lange wie unbedingt nötig in Haft genommen werden, die Gefahr eines Rückfalls sei durch intensive Betreuungsarbeit während des Vollzugs zu mindern, lauten zwei zentrale Empfehlungen der Volksanwaltschaft.
Unzureichende psychiatrische Versorgung
Hinsichtlich einer professionellen psychiatrischen Versorgung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Vollzug ortet die Volksanwaltschaft große Unzulänglichkeiten. Trotz der Ressourcenknappheit in den Justizanstalten und des aktuellen Mangels an Fachärztinnen und Fachärzten für Kinder- und Jugendpsychiatrie müsse alles dafür getan werden, dass entsprechend ausgebildete Fachärzt:innen anstatt von „Allgemeinpsychiater:innen“ mit den Bedürfnissen psychisch kranker Kinder und Jugendlicher befasst werden, und das in höherer Frequenz als gegenwärtig. Zudem brauche es sozialpädagogische Anlaufstellen für die jungen Menschen auch an den Wochenenden.
Als Beispiel für die unzureichende Versorgungssituation wird die Justizanstalt Linz angeführt, in der nur einmal pro Woche für alle Insassinnen und Insassen der Anstalt eine Fachärztin für Psychiatrie zugegen sei, auch für die dortige Jugendabteilung.
Rauchverbot mit drastischen Konsequenzen
Ein weiteres Problem im medizinischen Zusammenhang ist dem Bericht zufolge das nunmehr geltende Rauchverbot in Jugendabteilungen von Justizanstalten, zumal mittlerweile fast sämtliche Unterstützungsmaßnahmen zur Entwöhnung eingestellt worden seien. Besonders in Jugendabteilungen untergebrachte junge Erwachsene hätten gegenüber dem NMP ihren Unmut über die als ungerecht empfundene Regelung geäußert. Ordnungsstrafen und die Verlegung von über 18-Jährigen in den Erwachsenenvollzug nennt die Volksanwaltschaft als Konsequenzen eines Brechens des Rauchverbots. Da Inhaftierte nach Berichten der Justizwache häufig zu ebenfalls gesundheitsschädlichen Ersatzprodukten greifen würden – angeführt werden im Bericht etwa Fensterdichtungen – raten die Bediensteten laut Volksanwaltschaft zu einer Aufhebung des generellen Rauchverbots für die über 18-Jährigen. So könne man einige junge Erwachsene in der Anstalt behalten, den Belag steigern und die Arbeit in den Werkstätten wiederaufnehmen.
Unterbringung muss Jugendvollzug unterstützen
Die Volksanwaltschaft bezeichnet den Rückgang jugendlicher Häftlinge – nicht zuletzt aufgrund kürzerer Freiheitsstrafen – in den letzten Jahren zwar als erfreulich, allerdings werde dadurch das Absolvieren einer Ausbildung während des Vollzugs unter den bestehenden Gegebenheiten beinahe unmöglich. Das zeige sich etwa in der Sonderanstalt Gerasdorf für junge männliche Gefangene, wo wegen der geringen Belagszahlen die erforderliche Modernisierung der Lehrbetriebe ausbleibe. Den noch 2016 geplanten Ausbau der Anstalt zum „Jugendkompetenzzentrum“ habe das Justizministerium mittlerweile überhaupt fallengelassen. Als Lösung schlägt die Volksanwaltschaft einen Ausbau der Jugendabteilungen in den gerichtlichen Gefangenenhäusern vor, weil dadurch die Anbindung der jungen Häftlinge an ihre soziales Umfeld besser gewahrt bleibe.
Für die wenigen jungen Menschen, die zu einer längeren Freiheitsstrafe verurteilt worden sind, habe der Staat auch in den bestehenden Justizanstalten eigene Bereiche zu schaffen, getrennt von jenen für Erwachsene. Als geeignetste Unterbringung im Jugendvollzug bietet sich laut Volksanwaltschaft der Wohngruppenvollzug an. Die gesetzlichen Mindeststandards für die Betreuung junger Häftlinge sollten dahingehend adaptiert werden, wird im Bericht unterstrichen.
Ausbildung für das Leben nach der Haft
Die Schul- und Berufsausbildung von inhaftierten Jugendlichen soll aus Sicht der Volksanwaltschaft ähnlich jener der jungen Menschen in Freiheit sein, auch hinsichtlich der Abschlüsse, und von Fachkräften vermittelt werden. Für den Einsatz von Lehrer:innen in Justizanstalten auch während der Schulferien fordert die Prüfstelle allerdings Sonderregelungen, sodass ein unzweckmäßiges Unterrichtsverbot während dieser Zeiten unterbunden wird. Generell regt die Volksanwaltschaft ein vermehrtes Augenmerk auf einen nach draußen ausgerichteten Jugendvollzug an. Möglichkeiten dazu böten Freigänge zum Schulbesuch oder für eine Lehre sowie externe Therapien. Hilfreich bei der Entlassungsvorbereitung wäre auch das Absolvieren einer Berufsschule im elektronisch überwachten Hausarrest.
Zur Sicherstellung sinnvoller Freizeitbeschäftigungen junger Menschen im Vollzug sei ein ausreichendes Angebot an Erziehung, Sport und anderen Aktivitäten nötig, so die Volksanwaltschaft. Die kleine Gruppe der weiblichen Jungstraftäterinnen dürfe in diesem Zusammenhang nicht benachteiligt werden. Besonders in gerichtlichen Gefangenenhäusern hätten die jungen Insassinnen in den letzten Jahren weniger auf sie abgestimmte Betreuung erfahren als männliche Jugendliche in Haft, zeigen die Prüfer:innen des NPM auf.