Wie Bilder den Haftalltag verbessern können und welche Herausforderungen es dabei gab. Ein Interview mit den Schweizer Graffiti-Künstlern von M2.
Wie kam es denn dazu, dass ihr Gefängnisse gestaltet habt?
Das kam aus einem, wie soll man sagen, eher egoistischen Grund heraus. Ich hatte viel zu wenig Wände, die man einfach bemalen konnte. Ich habe meine internationalen Freunde gesehen, die hatten immer riesige Fassaden und Wände. Und ich habe mir überlegt, wo gibt es das in der Schweiz? Denn die Schweiz ist klein, es ist eng, es gibt nicht so viele Möglichkeiten. Und dann dachte ich, ein Gefängnis hätte doch sicher Freude an meiner Kunst. Die haben genug Betonwände. Ich habe da blind mal angefragt, wirklich sehr naiv. Das war, im Gefängnis Lenzburg im Kanton Aargau (Schweiz). Der Direktor Marcel Ruf hat die Idee wirklich sehr gut aufgenommen, hat es sehr toll gefunden. Und hat mich dann durch die Anstalt geführt und gesagt: „Diese Wände könntest du machen, diese Gänge, diesen Spazierhof…“. Ich habe dann ziemlich schnell Claude mit ins Boot geholt, weil ich wusste, , das kann ich nicht mehr alleine bewältigen. Zusammen haben wir versucht, ein Konzept zu erstellen, das zu planen. Wir haben dann 13 weitere Künstler eingeladen, also bekannte Künstler aus der Schweiz und einen aus Polen und haben das zusammen kostenlos als Kunstprojekt umgesetzt.
Ihr kommt ursprünglich aus der Graffiti-Szene?
Ja, das kann man so sagen. Aber da gibt es auch verschiedene Kategorien von Leuten und wir gehörten zu den Künstlern, die zwar auch sicher mal illegal gemalt haben, aber eher die Absicht mitgetragen haben, etwas zu verschönern. Die Passion kommt von da.
Ich war in grafischen und illustrativen, Hintergrund- oder Nebenbereich tätig. Deswegen waren wir da schon immer ein bisschen zweigleisig unterwegs und haben auch versucht, das zu professionalisieren. Spannend ist auch, die Akzeptanz der Insassen sowie den Justiz-MitarbeiterInnen. Für sie ist das nichts Neues oder Anstößiges, für sie ist das eher normal.
Es ist also ein Glück gewesen, dass ihr nicht ins Gefängnis gekommen seid?
Ja, also ich denke für meine Sünden hätte es in das Gefängnis nicht gereicht. Ich war doch zu brav.
Und in welchen Gefängnissen habt ihr bisher gearbeitet? Ausschließlich in der Schweiz?
Ja, ausschließlich in der Schweiz. Gestartet hat es in Lenzburg. Dann ist der Kanton Zürich als erstes mit dem Thema wieder auf uns zugekommen. Und da war eigentlich die Idee, dass wir alle Untersuchungshaftanstalten gestalten sollten, denn das ist auch in der Schweiz ein kritischeres Thema. Das waren fünf Anstalten, allein im Kanton Zürich. Dann ist dann schnell Bern mit Thorberg und Hindelbank gekommen. Dann noch der Kanton Aargau mit Aarau und Baden. Damit haben wir uns jetzt schon 12 Jahre beschäftigt. Es ist aber ein laufender Prozess. Vor einer Woche ist eine Anfrage vom Kanton Zug gekommen.
Und haben Sie noch Anfragen aus anderen Ländern außerhalb der Schweiz?
Noch nicht bis jetzt. Ich habe aber auch schon Werke gesehen in einem Gefängnis in Deutschland, ich habe schon Werke gesehen in Holland, auch schon mal in den USA, aber es sind wirklich so Einzelstückwerke, also nicht so konzeptionell, wie wir das jetzt machen.
Das größte Einzelprojekt, das ihr gestaltet habt, war die Außenmauer in einem Gefängnis, oder?
Ja, der Oktopus, das war in Lenzburg. Der ist 40 mal 7 Meter groß.
Gab es bei diesen Projekten Vorgaben von den jeweiligen Anstalten oder hattet Ihr jede künstlerische Freiheit?
Es gab immer Wünsche seitens der Gefängnisleitung. Ich würde das mal als grundlegend bezeichnen, denn sie kommen eigentlich immer an uns heran und zeigen uns den Bereich und die Problematik oder die Situation im Allgemeinen. Was dann das Visuelle anbelangt, sind wir erstaunlicherweise oder schönerweise sehr frei. Man muss aber auch sagen, dass wir doch vielseitig arbeiten können und uns das Vertrauen entgegengebracht wird. Ich glaube schon, dass sie Einfluss nehmen würden und werden, wenn gewisse Dinge ethisch und moralisch nicht korrekt wären. Das ist logisch. Aber im Normalfall sind wir eigentlich sehr frei in der Gestaltung.
Es gibt schon Dinge mittlerweile, wo man sagen kann, ursprünglich war mal die Idee, wir malen etwas Schönes, einen Strand oder eine Aussicht. Rückblickend muss man sagen, man imitiert eine Welt, die nicht zugänglich ist. Das kann eine gute Absicht sein, aber irgendwo auch dann provokant. Ja, es kann beleidigend wirken für die Insassen, weil sie natürlich etwas vorgesetzt bekommen, das sie nicht erreichen können in diesem Moment. Und von daher sind auch solche Ideen mit Vorsicht zu genießen. Es ist schön, so viel Vertrauen zu bekommen, aber man macht nicht immer alles richtig. Wir müssen auch immer weiter lernen.
Gab es Einschränkungen aus Sicherheitsgründen, also dass ihr etwas nicht machen konntet, was ihr eigentlich gerne gemacht hättet?
Was man schon immer bedenken muss, ist einfach die Umsetzungsmöglichkeiten. Es kann sein, dass wir in einem Spazierhof arbeiten, der ist begrenzt vom Platz. Und wenn wir arbeiten, ist der Hof gesperrt. Es gibt aber auch Situationen, wo zum Beispiel ein Security-Team angestellt wird und da waren die Insassen, während wir am Arbeiten waren auch vor Ort, haben da Fitness-Training gemacht. Es ist dann auch interessant, es gibt Annäherungen, es gibt einen gemeinsamen Austausch, es fördert natürlich auch die Akzeptanz, wenn die Insassen uns kennenlernen.
Es ist faszinierend, dass sie immer Wege finden, wie in so einem laufenden Betrieb eine solche Aktion von außen umgesetzt werden kann. Man muss Gänge absperren, wir haben zum Teil auch mit Rollgerüsten, mit Leitern zu arbeiten, die müssen dann natürlich über Nacht irgendwie verstaut oder angekettet werden.
Gibt es eigentlich Rückmeldungen von dem Personal und den Häftlingen?
Es ist schwierig, es gibt nach wie vor keine genaue Analyse, die uns bekannt wäre. Aber man kriegt natürlich immer wieder mal was mit. Auch über die Angestellten bekamen wir Kritik von den Insassen zu hören. Es gibt einzelne Meinungen, die etwas in einem Werk gesehen haben, das sie stört. Das beste Feedback ist, dass wir seit zwölf Jahren diese Gestaltungen in die Gefängnisse bringen. Wir haben einmal eine Bergwelt gemalt und ein Insasse hat sich darauf eingeschossen. „Das sind so Berge, das sind so Steine, das ist so hart.“ Das schließt ihn ein. Aber es hat so Diskussionen angeregt und es hat Emotionen ausgelöst. Aber im Großen und Ganzen haben wir wirklich positives Feedback und es wird sehr gut aufgenommen. Wir haben oft gehört, dieser Vogel an der Wand hat mich in dieser Zeit begleitet.
Oftmals werden vielleicht nicht nur die Motive gewertet, sondern es kann ganz allgemein so ein Gefühl. In einem Frauengefängnis, da haben wir zwei Stockwerke bemalt und eine Aussage von einem Angestellten war: „Es ist mit Abstand die einzige Institution, bei der ich mich einfach wohlfühle, bei der ich mich gerne in diese Mauern bewege.“
Gibt es da einen speziellen Grund, warum ihr gerade Anstalten für U-Haft gestaltet? Weil gerade die Anstalten, wo Menschen vielleicht viele Jahre verbringen, würden auch profitieren von optischer Verbesserung, oder?
U-Haft in der Schweiz gilt als hart und da wollte man zuerst eingreifen. Denn die U-Haft ist wirklich psychisch am belastendsten für die Insassen, weil man da aus dem Alltag gerissen wird, in eine Zelle gesetzt wird, man weiß vielleicht nicht mal wieso, man hat vielleicht noch Kinder in der Schule, man hat noch Haustiere zu Hause. Da wird man aus dem Leben gerissen und da sind psychische Erscheinungen am wahrscheinlichsten. Deshalb wollte man da zuerst ansetzen.
Die Farben und die Materialien, die ihr verwendet, müssen die wieder erneuert werden oder löst sich das dann eben dann ab oder ist das so dauerhaft, dass das bleibt bis das Gefängnis abgerissen wird?
Also im besten Fall bleibt es bis zum Abbruch. Aber es ist natürlich ein bisschen optimistisch. Wir versuchen sehr hohe Qualität an Materialien zu verwenden. Wir schauen auch, dass der Untergrund wirklich professionell aufbereitet ist. Oft arbeiten wir dann noch mit einem Schutzlack, der das Ganze ein bisschen einpackt und verwahrt. Ich denke mal, nach 15, 20 Jahren sieht es dann auch nicht mehr so schön aus. Und es kommt immer darauf an, wie es behandelt wird.
Danke für das interessante Interview und den Einblick in Eure Arbeit!