Wie ein junger Wiener Anwalt Tausende Juden rettete

Das Buch „Wie ein junger Anwalt Tausende Juden rettete“ von Robert Lackner beleuchtet das bemerkenswerte und außergewöhnliche Leben von Willy Perl, einem Wiener Anwalt, der in den Jahren vor und während des Zweiten Weltkriegs Tausende Juden vor dem Holocaust rettete. Perl, selbst Jude und überzeugter Zionist, nutzte seine juristischen Fähigkeiten und sein Netzwerk, um gefährdete Menschen über die sogenannte „umgedrehte“ Balkanroute ins damalige britische Mandatsgebiet Palästina zu bringen.

Die dramatische Begegnung mit Adolf Eichmann

Ein frühes und entscheidendes Kapitel des Werks beschreibt Willy Perls Begegnung mit dem SS-Offizier Adolf Eichmann im Jahr 1938, kurz nach dem „“Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich. In einem beklemmenden Verhör wird Perl von Eichmann zur Herausgabe von Informationen über einen angeblich bekannten Juden gedrängt. Eichmann droht Perl physische Gewalt an, doch der Anwalt, von Angst gelähmt, findet schließlich die Kraft, Eichmann ein erstaunliches Angebot zu machen: Er verspricht ihm, dafür zu sorgen, dass Wien „judenrein“ wird, indem er die jüdische Bevölkerung zur Auswanderung bewegt. Eichmann ist zuerst skeptisch, aber durch seine unerschütterliche Haltung gelingt es Perl, einen Dialog über seine „Lösung“ für die Juden Wiens zu eröffnen.

Dieser Moment ist nicht nur ein eindringliches Beispiel für Perls rhetorische Fähigkeiten, sondern auch für seine Überzeugung, dass nur durch Eigeninitiative die Rettung für viele möglich sei. Der von Eichmann verlangte schriftliche Plan für die Massenauswanderung reifte so zu einer strategischen Grundlage für Perls „Aktion“.

Willy Perl (Foto: Privat)

Die ersten Rettungsaktionen und Finanzierungsprobleme

Ein zentrales Element von Perls Vorhaben war der Einsatz sogenannter „Schmuggler“-Routen und sein Zusammenschluss mit griechischen Seeleuten, die während der Prohibition bereits Erfahrung in heimlichen Transporten gesammelt hatten. Perl organisierte die erste Transportaktion, bei der junge Zionisten über den Balkan nach Griechenland und schließlich per Schiff nach Palästina fliehen sollten. Dieser Plan erforderte eine enorme Logistik und umfangreiche finanzielle Mittel, die Perl durch die Unterstützung jüdischer Organisationen und privater Finanziers mühsam zusammenbrachte.

Doch die finanziellen Mittel reichten oft nicht aus, sodass Perl in einem abenteuerlichen Schachzug das Reichsfinanzministerium in Berlin kontaktierte, um britische Pfund zu erhalten. Diese Begegnung, wie Lackner sie beschreibt, liest sich wie eine Spionagegeschichte: Perl und sein Begleiter behaupten mutig, im Auftrag Wiens zu handeln, um die „Lösung des Judenproblems“ voranzutreiben, und täuschen so den Beamten, der ihnen schließlich eine Umtauschsumme in Höhe von 480.000 Reichsmark genehmigt. Diese Mittel ermöglichten es Perl, eine Reihe weiterer Transporte zu organisieren.

Das Flüchtlingsschiff „Parita“ am Strand von Tel Aviv (Foto: Wikimedia Commons_ National Library of Israel)

Das Netzwerk der „Aktion“ und die Reise ins Ungewisse

Perls Einsatz zog ihn und seine Mitstreiter immer tiefer in die Komplexität der zionistischen Rettungsarbeit. Während er und seine Freunde in Wien die Passagiere auswählten und vorbereiteten, mussten sie ständig darauf achten, dass ihre Aktivitäten vor den Nationalsozialisten verborgen blieben. Die „Aktion“ wurde auf ein rigoroses System reduziert: Nur wenige Personen durften gleichzeitig reisen, und alle Teilnehmer mussten gut vorbereitet und wachsam sein. Die gefährlichen Fahrten über die Donau und das Mittelmeer bis ins Mandatsgebiet Palästina waren von unzähligen Risiken begleitet, da die Royal Navy regelmäßig illegale Schiffe abfing und deren Passagiere verhaftete.

Perls Frau Lore (Foto: Privat)

Inmitten dieser hektischen und lebensgefährlichen Zeit begegnete Perl der Frau, die seine große Liebe werden sollte: Lore Rollig, eine Katholikin, die er im Wiener Stadtpark kennenlernte. Doch selbst diese Beziehung stand unter einem unermüdlichen Druck, da Perl seine Mission an die erste Stelle setzen musste. Die beiden verliebten sich, doch aufgrund religiöser Differenzen trennten sie sich vorerst, bevor Perl um Lore kämpfte und sie schließlich bereit war, zum Judentum zu konvertieren.

Die historische Bedeutung

Das Buch vermittelt eindrucksvoll, dass Perls Geschichte zwar eine einzigartige Heldentat war, gleichzeitig aber auch ein Mahnmal für die komplexen moralischen Fragen, die viele Juden und Widerstandskämpfer während des Holocausts beschäftigten. Die Begegnung mit Adolf Eichmann, das waghalsige Ringen um Finanzierungen und die moralisch herausfordernde Auswahl derjenigen, die fliehen durften, sind Beispiele für den Mut und die moralische Flexibilität, die Perl und seine Mitstreiter auszeichneten.

Lackners akribische Recherche und seine dramaturgische Erzählweise machen das Buch zu einem Meisterwerk der Holocaust- und Widerstandsliteratur. Es zeigt Willy Perl nicht als makellosen Helden, sondern als einen Mann voller Ambivalenzen und Unsicherheiten, der letztlich bereit war, alles zu riskieren, um das Leben seiner Mitmenschen zu retten.

Interview mit Willy Perl der USC Shoah Foundation

Über den Autor

Robert Lackner (Foto: Georg Kramer)

Robert Lackner, Jahrgang 1984, studierte Geschichte, Germanistik und Anglistik in Graz und Paris. Nach einem Zwischenspiel bei internationalen Organisationen und in der Unternehmensberatung wandte er sich wieder der Wissenschaft zu und arbeitet seitdem vor allem zum historischen Spannungsfeld von Migration, Krieg und Nachrichtendiensten. Zu diesen Themen recherchiert der Autor, unter anderem Mitarbeiter am Grazer Ludwig Boltzmann Institut für Kriegsfolgenforschung, regelmäßig vor allem in Archiven in Großbritannien und den Vereinigten Staaten.